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Autorenarchiv für Henning Onken

Der Krieg ist wieder da

In Afghanistan wird geschossen, hat gerade unsere Kanzlerin festgestellt. Und in Prenzlauer Berg? In der Dunckerstraße schleppen Anwohner Tannenbäume oder schauen aus ihren gut beheizten Wohnzimmern auf die Straße, wo der Schnee die Stadt noch leiser macht. Es fehlt an nichts außer an dramatischer Geschichte – das jedenfalls lassen diese gemalten “sowjetischen Einschusslöcher” vermuten.

Vor zwei Jahren hat der Berliner Künstler Jens Kloppmann Gipsabrücke von zerschossenen Fassaden gemacht. Vermutlich werden solche “authentischen” Werke bald ihren Weg in die Edel-Nippes-Läden der Gegend finden und sich als Wandschmuck an Berlin-Besucher verkaufen. Eine schauderhaft-schöne Erinnerung an den Straßenkampf für Ihr Zuhause, dann wurde auch dort mal jemand “ganz authentisch” erschossen.

Im Kiez geht schon seit Jahren die Angst um vor dem Verlust des “echten Berlins”. Die Besitzer des “Kauf dich glücklich” in der Oderberger Straße ist bald sicher nur noch halb so glücklich ohne die Einschusslöcher in der ersten Etage.  Das Gebäude wird gerade saniert. Auch bei Gegnern des Umbaus der Kastanienallee mag das eine Rolle spielen. Bitte keine Veränderung, keine Langeweile, keine Gesichtslosigkeit.

Ich lasse mir das gern gefallen, solange niemand aus Verdruss an der Behaglichkeit einen Krieg anzettelt.

Bildergalerie: Berliner Seitenblicke

Adorno ist wieder da

Theodor W. Adorno würde wohl erschrecken, ginge er heute durch die Falckensteinstraße in Kreuzberg. “Adorno Superstar!” steht dort an einer Wand, was soll das denn? “Ein großes Missverständnis” vermutet der Kreuzberger Schriftsteller Jakob B. hinter dem Graffito, denn dem Kritiker der Kulturindustrie war jeder Rummel fremd.

Eine Misere nennt Jakob Texte, die fortlaufend in den Zeitungen sinnlos mit Adorno-Zitaten geschmückt würden – und insofern könnte dieser Schriftzug auch ironisch gemeint sein: Der Denker, viel gerühmt aber unverstanden von der Welt.

Wer denkt heute in Kreuzberg noch an Adorno?

Hallo Investor: Wir wollen keine Sanierung!

Keine Zentralheizung, keine neuen Fenster, nicht einmal das löchrige Laminat im Treppenhaus wollten sie ersetzt haben, erzählt Jan* trotzig. “Wir wollen keine Sanierung”, steht zur Bestätigung auf einem Plakat im Innenhof. Jan wohnt seit mehr als zehn Jahren in dem Haus am Rande eines Berliner Szenekiezes. In seiner Wohnung mit Kohleofen fühlt er sich wohl. So soll es bleiben.

Das haben Jan und etliche seiner Nachbarn ihrem neuen Vermieter erzählt. Der habe die Immobilie sicher nicht ohne große Pläne gekauft. In den nächsten zwei Jahren werde jedoch alles beim Alten bleiben, versprach der neue Eigentümer den aufsässigen Mietern. Keine Baugerüste, Bohrhämmer, Umsetzwohnungen in anderen Teilen der Stadt und keine höheren Mieten.

Warum freuen sich diese undankbaren Leute nicht auf ein neues Bad, auf eine Klingelanlage, mag er sich fragen. Kaum zu glauben, dass sie wirklich weiter durch ein Treppenhaus voller Graffiti zu ihren verlotterten Wohnungen stapfen wollen. Die Verweigerungshaltung wäre noch verständlich, wenn sich hinter den Bewohnern eine politisierte Clique ehemaliger Hausbesetzer verbergen würde. Aber das ist nicht der Fall.

Mieter in diesem Haus reden seit vielen Jahren öfter miteinander als anderswo. Viele von ihnen haben dabei festgestellt, dass sie durch eine Sanierung nur verlieren würden: Was wäre mit Partys auf dem Dach, wenn im ausgebauten Dachgeschoss ein Neu-Berliner seine Ruhe haben will? Der Pool auf der Wiese hinter dem Haus müsste wohl verschwinden und auch den wild wuchernden Knöterich würde ein seelenloser Handlanger des Besitzers einfach abschneiden.

Der Kampf ist vertagt, das Leben am Pool geht weiter. Noch mindestens zwei Sommer lang können Jan und seine Nachbarn dort in Ruhe unter einem Sonnenschirm sitzen und lesen, Musik hören. Und darüber nachdenken, wie sie ihren Status quo weiter halten können. Vielleicht mit dem Abwertungskit von “Es regnet Kaviar”.

Fotos: Berliner Hinterhöfe
* Name geändert

“Hilf mir, ick schaff ‘et nich mehr!”

Die alte Dame hielt sich mit beiden Händen an Sträuchern fest. In Hauskleid und Strickjäckchen stand sie auf einem Bürgersteig in Buckow und sank fast in sich zusammen. Sven konnte ihr gerade noch unter die Arme greifen – sie war nicht mehr in der Lage auch nur drei Schritte zu gehen.

“Ist sie tot?”, fragte die Feuerwehr als erstes, nachdem Sven mühsam mit einer Hand das Telefon aus der Tasche gekramt und den Notruf gewählt hatte.

Mit der anderen hielt er die alte Frau. Beinahe hätte Sven das Gespräch abgebrochen, denn der Mann von der Rettungsstelle verlor sich in immer detaillierteren Fragen zu ihrem Bewusstseinszustand. Warum schickte er nicht einfach einen Wagen? Die Alte musterte Sven misstrauisch und umklammerte ihre Handtasche. Sie begriff offenbar nicht ganz, dass ihr jemand helfen wollte. Der Rettungswagen kam dann aber schnell.

Keine Ruhezonen auf dem Bürgersteig

In der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain ist mir vor einiger Zeit etwas Ähnliches passiert. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs als ich leise Schreie hörte. Eine weißhaarige Frau auf dem Gehsteig war gestürzt. Sie lag auf dem Rücken und ruderte mit Armen und Beinen fast wie ein hilfloser Käfer. Mit einem Ruck stellte ich sie wieder auf die Füße und wunderte mich über ihre Leichtigkeit. Sie wäre prompt wieder gefallen, weil sie sich sofort nach ihrer Tasche bücken wollte.

Die Frau war in der Apotheke gewesen und wies auf einen der hohen Plattenbauten als ihr Zuhause. In dieser Gegend, die manche verächtlich “Stasi-Rentner-Kiez” nennen, gibt es einen Supermarkt mit Lupen an Einkaufswagen. Bürgersteige mit Ruhezonen für die Generation 70 plus sind aber nicht in der Planung.

Zu eitel für den Rollator

Eine Frau aus der Nachbarschaft versprach schließlich, die Rentnerin zu ihrer Wohnung zu bringen. Sie wollte mich kaum wieder loslassen. In ihren Augen hinter der Brille mit dem Goldrand eine Mischung aus Angst und Dankbarkeit.

Warum stützen sich Menschen wie sie nicht auf einen Gehwagen? Oder nehmen zumindest einen Stock mit? “Mein Mann ist zu stolz, sich auch nur auf einen Regenschirm zu stützen”, sagte mir die Ehefrau eines 79-Jährigen. Am Stock oder mit dem Rollator durch die Straßen zu gehen, kann der Eitelkeit zusetzen.

Die Modebranche könnte es älteren Menschen leichter machen, ihre Gebrechlichkeit zu akzeptieren. Models, die Mini-Schweine ausführen oder sich leere Cola-Dosen in die Haare drehen, könnten auch mal einen Rollator über den Laufsteg schieben. Eine Mission für Lady Gaga, die gerade graue Haare zum Trend gemacht hat.

Gibt was zu sehen unter der Hochbahn

Mitten auf der Skalitzer Straße sitzt eine alte Frau in Puschen, in der Hand einen Klostampfer. Sie lässt den Verkehr vorbeiziehen, der entlang der Hochbahn wie eine Schneise durch Kreuzberg fließt. Er stört die Alte nicht. Ein paar Meter weiter will ein Junge gerade einen alten Fahrradreifen unter den Gleisen entlang rollen, ganz in der Nähe schläft ein Obdachloser auf einer Bank. Auch ihn scheint der Verkehr, der hier vierspurig rollt, nicht weiter zu beeindrucken.

Die Frau und der Junge sind Motive einer kleinen Galerie wild geklebter Streetart, die an den Betonpfosten unter den Gleisen wächst. Sie entsteht seit einigen Monaten just dort, wo die Wrangelstraße in ungleiche Teile zerbricht: Nördlich der Skalitzer ist erst einmal Schluss mit dem Szenekiez, der im Süden die Mieten treibt. Auf der anderen Seite gibt es eine Schule und Kreuzbergs ersten McDonald’s. Die Kreuzberger hatten bis zuletzt gegen die Burgerbraterei protestiert, die vor knapp drei Jahren dann doch eröffnete.

“Hey, komm doch ma her, wat machst’n du?” Ein älterer Mann sitzt vor dem kleinen Imbiss auf der Nordseite, der sich dort trotz der Burger-Konkurrenz gehalten hat. Er trinkt einen Schluck aus seinem Plastikbecher und betrachtet Passanten bei ihrem Gang durch die Kiez-Schneise. “Ick bin Bernd.” Bernd trägt einen Blaumann, schwere Arbeitsschuhe und füllt seinen Feierabend augenscheinlich gerne mit Gesprächen.

Wie lange ich in Berlin sei, will er als erstes wissen, dann erzählt er zufrieden von dem schönen Imbiss und dessen Besitzer. An einem Tisch des Drive-Ins 40 Meter weiter kann man ihn sich schwer vorstellen, zumindest so lange es Andys Imbiss gibt.

Schließlich murmelt Bernd etwas, das ich kaum erwartet habe: “Die Bilder da drüben, die sind ja auch super”.

Fotos aus der Skalitzer Straße

Update 4.9.2010: Die Stadtreinigung hat diesen Bildern den Garaus gemacht :-(

Der Gehsteig gehört allen, oder?


Neun Uhr morgens. Der Weg zum Bäcker führt durch eine Horde schlafender Punks. Sie sind in den frühen Morgenstunden des Feierns müde geworden, haben irgendwo eine Matratze gefunden und pennen nun mit ihren Hunden auf dem Gehsteig. Auch schön. Weiter geht’s im Slalom an alten Fahrrädern, eingerüsteten Häuserfassaden und Schutthaufen vorbei. Die Schrippen werden in den 90er Jahren noch in Mark und Pfennig bezahlt. An solche Bilder erinnern sich Bewohner bestimmter Straßen in Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte mit Abscheu, Wut oder sogar Sehnsucht.

Der Trottoir hat sich gewandelt. Belagert von feiernden Touristen, benebelt durch Essensdünste und im Zickzack an großen Blumenkübeln vorbei führt an diesen schönen Sommertagen ein schmaler Pfad – der Bürgersteig. Wer zu lang trödelt und unschlüssig wirkt, wird von vielen Wirten am Wegesrand schon als Kunde betrachtet. Sie haben ihren Claim abgesteckt, tun fast so, als hätte man ihren Laden bereits betreten und nach einem Tisch gefragt. Nicht weiter schlimm, so ein Dschungeltrip über Berlins Feiermeilen,  solange man keinen Kinderwagen schiebt oder im Rollstuhl sitzt.

Wer aber denkt, dass sich in Berlin jeder nach Belieben auf dem Gehweg ausbreiten kann, hat sich getäuscht. Alles was über den “Gemeingebrauch” hinausgeht, ist genehmigungspflichtig. Selbst Grillwalker brauchen eine Erlaubnis vom Ordnungsamt – ein Pfad von mindestens 1,50 Metern muss unverstellt bleiben.

Diese Erfahrung machen gerade die Bewohner von zwei Hausprojekten in der Liebigstraße in Friedrichshain: Seit den 90er Jahren stellen sie Bänke, Sofas und Stühle vor ihre Häuser. Jetzt will die Stadt ihnen zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind. Unter Polizeischutz transportierten Müllmänner schon zum zweiten Mal alte Polstergarnituren ab.

Die Polizei will verhindern, dass ihre Streifenwagen von dieser Ecke aus weiter mit Flaschen und Steinen beworfen werden. Dass Leute nachts auf der Straße Lagerfeuer machen oder Botschaften wie “All cops are bastards” (ACAB) in großen Buchstaben auf die Kreuzung schreiben. Und wahrscheinlich glauben Polizisten auch, dass teure Autos wie der Benz auf dem Foto an einem menschenleeren Boulevard länger unversehrt bleiben.

Gehört der Bürgersteig wirklich nur denen, die ihn belagern? Oder Wirten, die Anträge stellen und dafür bezahlen? Nicht ganz – manches wird stillschweigend geduldet. Baumscheibenbeete von Anwohnern werden toleriert, ebenso Blumenkübel und Verschenke-Ecken. Alles was schön ist also.

Toleriert werden aber auch alte Waschmaschinen, kaputte Autos und Hundehaufen, möchte man böse hinzufügen. Die 90er Jahre sind also doch noch nicht ganz vorbei.

Fotos: Christian Hetey (1), Henning Onken (2,3)

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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