Brauchbares aus dem Container zu fischen, gilt in einigen Kreisen als hip. Von “Dumpster Diving” ist die Rede – Leute tauchen in die Mülltonne und bergen Schätze. Bevorzugt vor Supermärkten. Eine natürliche Reaktion auf den Überfluss im Kapitalismus. Tipps für Anfänger gibt es jede Menge im Netz. So raten Aktivisten, Container sauber zu hinterlassen, nicht den gesamten Inhalt auf dem Boden zu verteilen. Denn Supermarktmitarbeiter reagieren gereizt auf Schweinereien. Auch ein kleines Werkzeug ABC fehlt in diesen Anleitungen nicht: Leser erfahren, dass sich einige Abfallbehälter am besten mit Dreikant-Schüsseln öffnen lassen und notfalls brachial mit Bolzenschneidern.
Was für einige ein Abenteuer mit kalkulierbarem Risiko zu sein scheint, ist für viele arme Berliner längst zur Überlebensstrategie geworden. Nur warten sie nicht auf Supermarktparkplätzen, bis palettenweise Obst und Gemüse weggeworfen werden; sie huschen eher von Hinterhof zu Hinterhof, auf der Suche nach Pfandflaschen, alten Schuhe und Joghurtbechern. Manche nicken verschämt, wenn sie auf Bewohner treffen.
Dass sich Menschen bei diesem unangenehmen Job auch blaue Flecken holen, ist nur ein Nebenaspekt. Seit kurzem pappt an der Mülltonne im Hof ein Aufkleber, der vor Verletzungsgefahr warnt. Man könnte der Berliner Stadtreinigung unterstellen, auf diese Weise unliebsame Müllverwerter abschrecken zu wollen. Doch ältere Container, deren Deckel automatisch zurückschnellt, sind tatsächlich gefährlich. So soll in Erfurt 2008 ein Kind im Müllcontainer eingeklemmt und an den Folgen seiner Verletzungen gestorben sein.
Eine Schlagzeile “Armer Berliner in Mülltonne verendet” kann niemand in dieser Stadt gebrauchen. Nicht die BSR, die eh den Ruf hat, ganze Straßen und Plätze zu vernachlässigen und auch nicht Wowereit, der im kommenden Jahr wieder gewählt werden will. Wundern würde es einen trotzdem nicht.
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