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Archiv für das 'Marzahn'-tag

Über gewaltsamen Entzug und seine Folgen

Fernseher - Foto: Henning OnkenWas wohl aus den Neujahrs-Vorsätzen vieler Berliner geworden ist? Die Raser hatten sicher keine – bereits am 1. Januar gab es den ersten prominenten Verkehrstoten in Marzahn. Ein ehemaliger Radrennfahrer offenbar.

Aber was ist mit den Fernsehsüchtigen? Gleich mehrere zertrümmerte Geräte lagen im Simon-Dach-Kiez herum, ausrangiert und auf dem Gehsteig entsorgt. “Nach zwei Stunden vor der Glotze fühlst du dich einfach leer”, meinte letztens ein Bekannter. Dem Besitzer dieses zertrümmerten Fernsehers erging es wahrscheinlich ähnlich: Er hat dem Gerät schnell noch einen heftigen Tritt versetzt, um die Entscheidung, nicht mehr rückgängig machen zu können, ab 2008 ohne zu leben.

Vielleicht war das vorschnell. So könnte die Odyssee des Fernseh-Junkies weitergehen: Am vierten und fünften Januar geht ihm so dreckig, dass er bei Youtube Clips von Stefan Raab ansieht. Am sechsten fällt ihm dann ein Werbeprospekt für Flachbildfernseher in die Hände. Von da an sucht er systematisch. Gleicht Testergebnisse der Stiftung Warentest mit Angeboten ab.

Bis zum Tatort am Sonntag wird er das neue Gerät gekauft haben. Gut so, dann wird er auch gemütlich beim Film rauchen können. In seiner Lieblings-Tatort-Kneipe herrscht seit dem neuen Jahr Rauchverbot..

Foto: Henning Onken

“Call me Dustin” oder die Zukunft Marzahns

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Jean Jolina, Dustin-Anthony und Gabor Kilian – willkommen in Hellersdorf, ihr Süßen! Neugeborene im Oktober, gefunden in der Stadtteilzeitung Die Hellersdorfer. Ein Querschnitt des Geburtsjahrgangs 2007 in Berlin, oder symptomatisch für einen Bezirk, den tausende junger Menschen verlassen?

Namen wie “Christian” und “Anna” sind von vorgestern, der Wunsch, sich von anderen abzuheben, weit verbreitet. Der Geschmack für Vornamen sei “sozial imprägniert”, zitiert die Zeit den Berliner Kultursoziologen Jürgen Gerhards, der Geburtsregister von 1894 bis 1998 untersucht, und Namen und Berufe der Eltern verglichen hatte.

Samantha oder Paula als Juniorprofessorin?

Ein Blick in Lokalblättchen aus Charlottenburg oder Prenzlauer Berg wäre daher aufschlussreich gewesen. Akademiker, die bevorzugt in diesen Stadtteile wohnen, wählen andere Namen, auch wieder zunehmend christliche. Kinder heißen dort Antonia, Franziska, Friedrich und Julius. Nur findet sich nirgends eine solche Anzeige.

Wahrscheinlich haben sich die (jungen) Eltern in den innerstädtischen Bezirken händeringend gegen die Annonce der Vivantes Kliniken gewehrt. Zu “prollig”?

So jut und doch geschlossen: Das Sojus-Kino

Sojus-Kino in Berlin-Marzahn. Foto: Anne Grieger

Plattenbauten soweit das Auge reicht und irgendwo dazwischen ein Kino: Das war das Sojus, das legendäre Programmkino am Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Nach 26 Jahren wurde es nun endgültig geschlossen. Zum Bedauern vieler Anwohner. Das Kino ihrer Kindheit, schwärmte eine Bekannte, die mittlerweile in Friedrichshain wohnt. “Glaubste nicht, aber der Eintritt hat bis vor kurzem nur zwei Euro gekostet, dienstags sogar nur einen!” Einmalig in Berlin, für den Preis kann man in der Boxhagener Straße nicht einmal eine DVD leihen.

Am Konzept scheint es nicht gelegen zu haben. Der Betreiber, die Hamburger Billig-Kino-Kette k-motion, hatte das Gebäude nur gemietet und ist nun vor die Tür gesetzt worden, berichtet die Berliner Morgenpost. Obwohl die Leiterin mit der Resonanz “ganz zufrieden” gewesen sei.

Das Sojus ist seit längerem nicht mehr das einzige Kino vor Ort, gegenüber des Einkaufscenters Eastgate hat ein Blockbuster-Palast eröffnet. Erich Honecker, der 1981 offenbar persönlich für das Sojus Kino eingetreten war, um einen großen Saal zum Reden zu haben, hätte hier also heute einige hundert Meter weiter eine weitaus größere Plattform gefunden. Kürzlich wurde in dem Blockbuster-Kino der Film “The Bourne Ultimatum” gezeigt. Der wird im Sojus nicht mehr zu sehen sein – neue Filme liefen dort erst einige Monate später. Ob es wohl ein Ultimatum an den Betreiber des Sojus gab?

Sie drehen sich für Berlin nach dem Wind

Windmühle in Marzahn

Windrad im Berliner Umland

Sie steht da, wo Journalisten gerne hingehen, wenn der Redaktionsleiter sagt: Schreib was, das richtig wehtut. Fahr’ nach Marzahn und stimme ein Klagelied über Arbeitslose, rechte Schläger und Abriss-Plattenbauten an. Und irgendwann kommt doch mal einer mit der Geschichte über eine Windmühle zurück. Die mahlt auf einem eigens dafür aufgeschütteten Hügel an der Landsberger Allee Mehl für eine nahe gelegene Bäckerei. Die positive Wirkung für den Bezirk lässt sich gar nicht in Säcke packen. Das weiß auch das Standesamt und traut dort Paare. Wie romantisch! Anwohner heiraten und lassen sich anschließend auf einem Bollerwagen fröhlich durch die Allee der Kosmonauten und die Marzahner Promenade ziehen, der ärmsten Straße Berlins. Diese Mühle hat das Zeug zum Kiez-Wahrzeichen, zum Leuchtturm.

Zwanzig Fahrrad-Minuten östlich der Berliner Stadtgrenze dreht sich ein namenloses Windrad auf einem Feld in der Nähe von Altlandsberg. Geheiratet wird dort nicht. Nur der Generator brummt auf dem Feld und manchmal brummt auch ein Auto auf der Landstraße vorbei. Die vielen Brüder und Schwestern in der Gegend, die vielleicht Nordex N60 oder ähnlich heißen mögen, produzieren neben Öko-Strom für die Hauptstadt auch Öko-Ärger. Was, wenn eine der mit viel Mühe gepäppelten Brandenburger Großtrappen im Anflug auf ihren Familien-Landeplatz vom Flügel eines Wind-Spargels zu Fall gebracht wird?, fragt eine Umweltschützerin.

Fotostrecke: Berliner Seitenblicke

Hartz-IV-Unterricht an Berliner Schulen?

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Nicht für die Schule, sondern fürs Leben und so weiter… Der Lehrer, ein hagerer weißhaariger Altphilologe, der Rothändle rauchte und ständig entzündete Augen hatte, wurde nicht müde, diesen Spruch Woche für Woche wiederholen zu lassen. Einen Bezug zum Leben konnten wir in dem Stoff, den er vermittelte, damals nicht sehen. Egal.

Etwas fürs Leben lernen bedeutet für viele Berliner Schüler, sich für eine unsichere Zukunft wappnen zu müssen. Ohne Sinnsprüche. 37 Prozent der Berliner Kinder sind laut einer neueren Studie des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) mittlerweile bedürftig, Armut, die sich sich in den meisten Fällen selbst reproduziert, so Soziologen. Schwierige Familienverhältnisse, kaum Perspektiven auf den Besuch einer weiterführenden Schule, fehlende Ausbildungsplätze und das Gefühl, dass ohnehin niemand Anforderungen stellt – für viele Jugendliche längst Realität.

Anleitung zum Armsein

Lehrer tun also gut daran, ihren Schützlingen ein realistisches Bild über ihre Chancen nach dem Ende der Schulzeit zu vermitteln. Über eine Zukunft, die für viele der über 15-Jährigen ein Leben von 267 Euro im Monat bedeutet, sofern sie noch in einer Bedarfsgemeinschaft leben, die sie nicht mitfinanzieren kann. An einer Bochumer Förderschule wird daher seit einiger Zeit Hartz IV-Unterricht erteilt: Wie viele Quadratmeter darf die Wohnung haben, wenn man doch dafür kämpft, zu Hause ausziehen zu können, wie hoch dürfen die Nebenkosten sein? Wie geht man plötzlich mit ganz viel freier Zeit um, wenn der Schulalltag wegfällt?

Diese Anleitung für das Leben in Armut – ein neues pädagogisches Konzept, das auf paradoxe Reaktionen setzt? Das eine Rebellion gegen die Hoffnungslosigkeit provozieren will, die nicht nur an der Schule gepredigt wird? ‘Hartz-IV-Unterricht an Berliner Schulen?’ weiterlesen

Das Ende eines Marzahner Plattenbaus

Plattenbau Abriss in Marzahn

Am Ende gleichen sich die Bilder – alles sieht aus, wie am Anfang: Auf der Wiese stapeln sich Platten und daneben wird gewerkelt. Wenn Arbeiter einen WBS 70 zerlegen, reißen sie Bauelemente komplett mit Fenstern und Gardinen heraus. Die liegen jetzt vor der Ruine in der Wuhlestraße und warten auf den Abtransport. Auf jeder Platte ist das Fertigungsdatum noch lesbar: 13. Mai 1983, 27. Juni 1983.

Damals lagerten diese Platten hier, um im Legoland des sozialistischen Wohnungsbaus zu 11-geschössigen Hochhäusern zusammengesetzt zu werden. Den Sozialismus vorantreiben: Erst wurde die S-Bahn gebaut, dann schoss der erste Satellit der Marzahner Großsiedlung in die Höhe.

Plattenbau Abriss in Marzahn

“Wir blicken voller Angst in eine ungewisse Zukunft.” Die Entscheidung zum Abriss kam besonders für ältere Bewohner überraschend, die vor mehr als zwei Jahrzehnten als erste hier einzogen. Ein Mieter wollte nicht freiwillig gehen und lebte bis kurz vor Beginn der Abrissarbeiten allein in einem Geisterhaus. Doch die meisten seiner ehemaligen Nachbarn haben sich mit der Situation längst arrangiert, wohnen in umliegenden Neubauten oder in sanierten Platten.

“Gut, dass der Klotz endlich wegkommt”, freut sich ein Anwohner. Die Senatsverwaltung macht unsanierte Platten wie diese für einen Leerstand von zwölf Prozent in den 1323 Wohnungen im Kiez um die Wuhlestraße verantwortlich.

Plattenbau Abriss in Marzahn

Platte mit Aussicht? Aus den Wänden, zwischen den sich das Leben hunderter Menschen abspielte, entsteht wieder Beton. Alles kommt zurück und wandelt nur seine Form im Arbeiterschließfach-Zyklus. Und die alte Form passte nicht mehr in unsere Zeit. Aber hat sie nicht einen kleinen städtebaulichen Moment lang hell geleuchtet, hat von Berlin bis Ulan Bator im ganzen Ostblock Menschen ein Zuhause gegeben.

Und nicht überall müssen alte Plattenbauten verschwinden. “Das sieht aus wie bei uns”, meinte eine Bekannte aus Moskau, als wir mit dem Auto aus dem Umland auf die Silhouette von Marzahn zu fuhren. Sie hat gelächelt. Wirklich.

Hellersdorf: Museumswohnung in der Platte “WBS 70″

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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