Nicht für die Schule, sondern fürs Leben und so weiter… Der Lehrer, ein hagerer weißhaariger Altphilologe, der Rothändle rauchte und ständig entzündete Augen hatte, wurde nicht müde, diesen Spruch Woche für Woche wiederholen zu lassen. Einen Bezug zum Leben konnten wir in dem Stoff, den er vermittelte, damals nicht sehen. Egal.
Etwas fürs Leben lernen bedeutet für viele Berliner Schüler, sich für eine unsichere Zukunft wappnen zu müssen. Ohne Sinnsprüche. 37 Prozent der Berliner Kinder sind laut einer neueren Studie des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) mittlerweile bedürftig, Armut, die sich sich in den meisten Fällen selbst reproduziert, so Soziologen. Schwierige Familienverhältnisse, kaum Perspektiven auf den Besuch einer weiterführenden Schule, fehlende Ausbildungsplätze und das Gefühl, dass ohnehin niemand Anforderungen stellt – für viele Jugendliche längst Realität.
Anleitung zum Armsein
Lehrer tun also gut daran, ihren Schützlingen ein realistisches Bild über ihre Chancen nach dem Ende der Schulzeit zu vermitteln. Über eine Zukunft, die für viele der über 15-Jährigen ein Leben von 267 Euro im Monat bedeutet, sofern sie noch in einer Bedarfsgemeinschaft leben, die sie nicht mitfinanzieren kann. An einer Bochumer Förderschule wird daher seit einiger Zeit Hartz IV-Unterricht erteilt: Wie viele Quadratmeter darf die Wohnung haben, wenn man doch dafür kämpft, zu Hause ausziehen zu können, wie hoch dürfen die Nebenkosten sein? Wie geht man plötzlich mit ganz viel freier Zeit um, wenn der Schulalltag wegfällt?
Diese Anleitung für das Leben in Armut – ein neues pädagogisches Konzept, das auf paradoxe Reaktionen setzt? Das eine Rebellion gegen die Hoffnungslosigkeit provozieren will, die nicht nur an der Schule gepredigt wird?
“Wenn ich mich bemühe, dann schaffe ich das auch. Man muss es ja im Endeffekt eben wollen”, sagt eine Schülerin, die gerade eine Absage für eine Ausbildung zur Verkäuferin erhalten hat, in der WDR-Reportage “Die Hartz-IV-Schule”. Das klingt nicht nach Mutlosigkeit.
So zynisch dieser Hartz-IV-Unterricht insgesamt auch erscheinen mag: Er ist richtig und wirft die Frage auf – ob, und wenn wie – das Thema an Berliner Schulen behandelt wird. Denn wenn die ernüchternden Zahlen stimmen, und viele Schulabgänger erst einmal von Arbeitslosengeld II leben müssen, bis sie eine Lehrstelle bekommen, sollten sie zumindest in der Lage sein, zu überprüfen, ob das Jobcenter ihnen alle Hilfen und Fördermaßnahmen gewährt, die ihnen zustehen. Wissen um die eigenen Rechte ist vielleicht nicht gleich Macht – aber ein erster Schritt in die Unabhängigkeit.
Das ganze ist doch wieder ein Stück des Hilflosigkeitspuzzels in dem wir uns noch schon länger befinden.
Prinzipiell ist dem Autor zuzustimmen, dass der Unterricht in dieser Form besser ist als gänzliche ohne Aufklärung zu verbleiben.
Und die statistischen Fakten wurden ebenso genannt.
Schule soll auf das Leben vorbereiten. Hier wird letztlich wieder auf die “Gesellschaftskonformität” der Jugendlichen hingearbeitet: sich anzupassen, an das, was die Gemeinschaft einem gibt.
Wenn man sowas schon in der Schule lernt, kann man zwar davon ausgehen, dass es später im inenpolitisch-monetären “Kampf um Ressourcen” für den Einzelnen hilft.
Allerdings kommt die aufklärerische Perspektive auch wieder zu kurz, denn ich nehme nicht an, dass in dem Unterricht über die grundlegende Sinnhaftigkeit des ALGII (…) gesprochen wird. So es denn in einzelnen Klassen und Schichten überhaupt möglich wäre.
Mir persönlich missfällt nur wiedereinmal die Diskrepanz zwischen Aspruch und Wirklichkeit schulischer Bildung: Aufklärung, Anleitung zum Mündigen Bürger, Skeptizismus, Kritizismus vs. Anpassung, Effizierung der Prozesse, Anpassung, letztlich Gesellschafts- und Marktförmigkeit.
Wie gesagt – es bleibt zwiespältig.