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Archiv für das 'Arbeit'-tag

Der Frühling in der Krise: Mal entspannt, mal deprimierend

In der Simon-Dach-Straße in Berlin-Friedrichshain - Foto: Henning Onken

Hat sich heute recht frühlingshaft angefühlt in Berlin, Leute saßen vor den Cafés in der Sonne. Käseweiß, aber entspannt. Wirtschaftskrise? War da was? Und wenn schon:  Am Kaffee zu sparen, macht depressiv und frischer Luft ist eh super.

Angenommen, man hat unendlich viel Zeit. Keine Arbeit, keine festen Termine, Kneipen-Besuche, wann immer man will, denn das Amt zahlt erst mal Arbeitslosengeld I. Der Vormittag im Lieblingscafé wird zum strukturierenden Element des Tages: die Zeitung wartet schon, sie wird dort gelesen. Das ist billiger, als das eigene Abo weiterlaufen zu lassen.

Bewerbungen schreibt man auch im Café, es gibt genug Leute, die Tipps geben können und mal drüber schauen. Wie lange lässt sich das aushalten ohne schlechte Laune, Anflüge von Depressionen? Glaubt man der SZ, nicht allzu lang.  Aber bald kommt ja der Sommer. Und der neue Job. Oder in der anderen Reihenfolge.

Ein Abschied vom Prekariat

Ihre Stimme klang beschwingt, fast schrill. “Du, ich hab den Job, morgen wird gefeiert”. Endlich eine Festanstellung für Simone, nach mindestens vier Honorartätigkeiten, elf Vorstellungsgesprächen und jeder Menge nerviger Fragen von Großeltern, Tanten und Freunden.

Der “Job” würde mehr sein, als ein Job – eine erste Stelle mit einem eigenen Aufgabengebiet, Verantwortlichkeiten und vor allem: einer Visitenkarte. Jedes Mal wenn Freunden der Berufseinstieg gelingt, hält man früher oder später eine Visitenkarte in den Händen. Landtagsfraktion der SPD in Niedersachsen, Belgische Botschaft, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, FU Berlin – die Liste meiner Visitenkarten ließe sich beliebig verlängern.

War Berlin gestern noch eine beschissene Großstadt mit inakzeptablen Arbeitsbedingungen, hat heute doch jeder früher oder später Perspektiven – vorausgesetzt er will und strahlt das auch aus. Die Absolventen-Befragung der Uni, die gestern noch ins Altpapier gewandert ist, wird wieder hervorgekramt und bereitwillig ausgefüllt.

Für Gäste, die noch immer den “Alles-nicht-so-einfach-Film” fahren, hat die Simone dann auch wenig Verständnis. “Könnt ihr nicht einmal einfach nur die Musik und das Essen genießen?”  Das “und euch mit mir freuen” verkneift sie sich. Auf die Befristung ihrer Stelle auf ein Jahr angesprochen, grinst sie nur müde: “Ich habe immerhin sechs Monate Ruhe, bis ich etwas Neues suchen muss und einen Fuß in der Tür. Ist das nichts?” Man muss sich die Gastgeberin als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Tschüss Berlin: Wenn der Bus erst wieder in München hält

Jedes Jahr verlassen mehr als 100.000 Menschen Berlin. Die Glücklichen freuen sich auf besseres Wetter in Barcelona oder einen Job in Hamburg. Manch einer bekommt jedoch den Großstadtkoller und geht zurück nach Mittweida in Sachsen. Tausende andere aber fühlen sich vertrieben. Vom Arbeitsmarkt verschickt auf endlose Lehr- und Wanderjahre. Wohin geht die Reise dieses Mal? Lost in Freiburg, fremd in Buxtehude oder verzogen nach Tschechien…

Es wird von uns erwartet, mobil zu sein, unabhängig und heimatlos – und wenn wir gehen, hinterlassen wir eine leere Wohnung mit frisch geweißten Wänden und ratlose Freunde. Wir können uns ja skypen, sagt man sich. Mein Laptop hat eine Webcam.

Sollten sich zum Beispiel die Berliner Beschäftigten von Sat.1 schämen, “Olé, olé, wir bleiben an der Spree!” zu rufen? Der Sender hat die Telenovela “Verliebt in Berlin” gedreht, doch mit großen Gefühlen ist jetzt Schluss: 350 Arbeitsplätze werden nach München verlagert, 225 Stellen sollen gleich ganz wegfallen.

Irgendwann steigt man zum letzten Mal in einen BVG-Bus und wird am Bahnhof oder am Flughafen wieder ausgespuckt. Einer der letzten Eindrücke als Bewohner dieser Stadt ist eine angehende Studentin, die nervös und leicht desorientiert zwischen ihren fünf Koffern hin und hertippelt. Man schenkt ihr die nutzlos gewordene Monatskarte und es ist wie eine Übergabe beim Staffellauf. Man wechselt aus, sie wechselt ein. Irgendwo müssen die neuen Berliner ja herkommen. Willkommen!

Foto: Nicole Gräther
Fotostrecke: Liebe in Berlin

Berlin brutal #11: Prekär in bester Gesellschaft

Nein, das Prekariat beschwert sich nicht. Als ich heute über eine Studie stolperte, nach der jeder vierte Berliner Geringverdiener ist und mit weniger als 900 Euro im Monat auskommen muss, fielen mir prompt ein paar Leute ein. Im Callcenter arbeitet keiner von ihnen, so viel vorweg, und auch nicht im Biergarten.

Es sind Selbstständige ohne Krankenversicherung, die auf den langfristigen Erfolg des eigenen Ladens hoffen und das Jobcenter noch nie von innen gesehen haben. Und Jung-Akademiker, die auf Honorar-Basis für Ministerien oder Verbände arbeiten, darauf angewiesen, dass ihnen die Eltern noch die Krankenversicherungsbeiträge sponsern. Es könnte sich ja auszahlen, einen Fuß in die Tür zu bekommen, auch wenn man klein anfängt – zum Beispiel als Schwangerschaftsvertretung in der Materialausgabe eines privaten Fernsehsenders. Oder verantwortungsvoller: Als Fundraiser und PR-Referent für ein internationales Orchester-Projekt, das aber leider nicht mal über die Mittel verfügt, eine Aufwandsentschädigung für die entstandenen Telefonkosten zu zahlen.

It could be worse, natürlich. Etwa bis Mitternacht bei Kaiser’s an der Kasse stehen zu müssen, oder mit Hartz IV zum Nichtstun verdammt zu sein. Da bildet man sich doch lieber weiter oder promoviert mit Hilfe eines Stipendiums und hat zumindest die Bibliothek als Anlaufstelle, statt den ganzen Tag vor dem heimischen Computer Stellenbörsen zu durchforsten. Fragt sich nur, wie lange man das durchhält. Als wir kürzlich einem Freund zu seiner ersten festen Stelle gratulieren konnten, feierte er seinen 31.Geburtstag. Bis zur Rente mit 67 sind es noch 36 Jahre, das Studium hatte er mit 27 beendet. Nun gibt es natürlich Leute, die so dümmlich sind, Modedesign oder Ethnologie zu studieren, statt Maschinenbau. Kein Wunder. Oder andere, die um jeden Preis in Berlin bleiben wollen, obwohl es in Bonn oder Stuttgart kaum Arbeitslose gibt.

Aber einer Sache können sie sich gewiss sein: Sie befinden sich in Berlin in bester Gesellschaft.

Berlin brutal #10: Den Jobverlust täglich vor Augen

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Klare Ansage oder einfach nur Schikane? In der Ankunftshalle des Flughafen Tegel müssen Mitarbeiter an einem Schild vorbei, auf dem ihnen offen mit Kündigung gedroht wird: “Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Gefährden Sie nicht Ihren Arbeitsplatz. Bitte achten Sie darauf: AUSWEISTRAGEPFLICHT in allen Flugsicherheitsbereichen.” Und der entsprechende Paragraf dazu.

Eine E-Mail oder ein Anschreiben gleichen Inhalts hätten es nicht getan? Das Personal wird für offenbar für so zerstreut gehalten, dass es ständig erinnert werden muss. Fluggäste können nur erahnen, wie es hinter den Kulissen des Unternehmens zugehen muss. Nach eigener Darstellung sind die Berliner Flughäfen mit über 15 000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Berlin und Brandenburg.

Hilfe aus dem Netz

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Die Nachbarn – lauter Unbekannte, die Freunde wohnen in der ganzen Stadt verstreut und die Topfpflanzen werden garantiert eingehen, wenn sie vier Wochen lang kein Wasser bekommen. Das Magazin brand eins berichtete in seiner letzten Ausgabe über eine Internet-Plattform, auf der Private kleine Aufträge an Private erteilen können.

Ein Blumengießer ist bei Mach du das schnell gefunden. Eine kurze Anzeige genügt, Interessenten melden sich über eine Kommentarfunktion und schlagen einen Preis vor. Die Kosten von drei Euro pro zustande gekommenem Deal tragen die Bewerber. In Berlin werden vor allem Babysitter, Reinigungskräfte und Leute mit Web-Know-how gesucht. Dazwischen aber auch Texter und Tüftler.

Klingt bequem, aber was passiert, wenn der Auftraggeber plötzlich nichts mehr von der Absprache wissen will und jemand einen ganzen Tag lang umsonst Dielen abgeschliffen hat? Oder wochenlang hingehalten wird, bis endlich ein paar Euro auf sein Konto überwiesen werden? Alles Probleme, mit denen sich Freiberufler tagtäglich herumschlagen müssen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Leidensgeschichten mit dieser Plattform in Verbindung gebracht werden – die Seite ist erst seit Oktober 2007 online.

Auf Dienstleistungen im Haushalt spezialisiert ist auch das Online-Portal My Hammer. Auftraggeber setzen einen Höchstpreis, der von Handwerkern, die sich um den Job bemühen, unterboten wird. Interessant dabei: Auftraggeber und Auftragnehmer bewerten sich gegenseitig nach dem Ebay-Prinzip und die Handwerker müssen qualifizierte Fachbetriebe sein. Die Betreiber versprechen eine Ersparnis von 30 Prozent und mehr – bei realistisch kalkulierten Preisen.

Das Konzept scheint zu funktionieren, Selbstausbeutung hat auch Grenzen: Auf das Angebot eines Auftraggebers, für 200 Euro 60 Quadratmeter Dielen abzuschleifen, ging jedenfalls niemand ein.

Foto: Bertrand Delgoff

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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