Nein, das Prekariat beschwert sich nicht. Als ich heute über eine Studie stolperte, nach der jeder vierte Berliner Geringverdiener ist und mit weniger als 900 Euro im Monat auskommen muss, fielen mir prompt ein paar Leute ein. Im Callcenter arbeitet keiner von ihnen, so viel vorweg, und auch nicht im Biergarten.
Es sind Selbstständige ohne Krankenversicherung, die auf den langfristigen Erfolg des eigenen Ladens hoffen und das Jobcenter noch nie von innen gesehen haben. Und Jung-Akademiker, die auf Honorar-Basis für Ministerien oder Verbände arbeiten, darauf angewiesen, dass ihnen die Eltern noch die Krankenversicherungsbeiträge sponsern. Es könnte sich ja auszahlen, einen Fuß in die Tür zu bekommen, auch wenn man klein anfängt – zum Beispiel als Schwangerschaftsvertretung in der Materialausgabe eines privaten Fernsehsenders. Oder verantwortungsvoller: Als Fundraiser und PR-Referent für ein internationales Orchester-Projekt, das aber leider nicht mal über die Mittel verfügt, eine Aufwandsentschädigung für die entstandenen Telefonkosten zu zahlen.
It could be worse, natürlich. Etwa bis Mitternacht bei Kaiser’s an der Kasse stehen zu müssen, oder mit Hartz IV zum Nichtstun verdammt zu sein. Da bildet man sich doch lieber weiter oder promoviert mit Hilfe eines Stipendiums und hat zumindest die Bibliothek als Anlaufstelle, statt den ganzen Tag vor dem heimischen Computer Stellenbörsen zu durchforsten. Fragt sich nur, wie lange man das durchhält. Als wir kürzlich einem Freund zu seiner ersten festen Stelle gratulieren konnten, feierte er seinen 31.Geburtstag. Bis zur Rente mit 67 sind es noch 36 Jahre, das Studium hatte er mit 27 beendet. Nun gibt es natürlich Leute, die so dümmlich sind, Modedesign oder Ethnologie zu studieren, statt Maschinenbau. Kein Wunder. Oder andere, die um jeden Preis in Berlin bleiben wollen, obwohl es in Bonn oder Stuttgart kaum Arbeitslose gibt.
Aber einer Sache können sie sich gewiss sein: Sie befinden sich in Berlin in bester Gesellschaft.
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