"Für die Ignoranz": Unsanierte Fassade in der Lychener Straße, 2006 - Foto: Henning Onken
Mehr als eine Woche lang haben Leser von www.fensterzumhof.eu heftig über eine Plakataktion in Prenzlauer Berg diskutiert: “Wir sind ein Volk! – Und ihr seid ein anderes” heißt es an Wänden, Litfasssäulen und Stromkästen.
Wer hätte gedacht, dass 20 Jahre nach dem Beginn der Umstrukturierung dieser Spruch für so viel Unruhe sorgt? Der Wandel, durch den sich die Bevölkerung von Prenzlauer Berg fast komplett austauschte, hat Narben hinterlassen. Und die sind offenbar größer, als sich selbst Menschen vorstellen können, die in den vergangenen Jahren in die sanierten Kieze gezogen sind.
Die Debatte zeichnet ein buntes und vielschichtiges Bild des Bezirks und seiner Bewohner. Und sie wirft ein Licht auf jene, die aus verschiedenen Gründen gegangen sind. Ich unternehme hier den Versuch, die Argumente nachzuzeichnen.
– DIE VORWÜRFE –
“Ihr reichen zugezogenen Spießer”
Sie greifen sich “selbstverständlich die schönsten Wohnungen und Villen und zahlen gern horrende Preise, schreibt blitzableiter. Die Eingeborenen, die da nicht mithalten können, bleiben auf der Strecke und werden aus ihrer eigenen Stadt in Randbezirke verdrängt.” “Was habt ihr denn geschafft?”, fragt go,bmw,go. “Ihr habt euch in der Heimat die Miete nicht leisten können, seid in den Osten gegangen, weil’s so schön billig war.” Bei der Finanzierung ihres Lebensstils springen dann die Eltern ein, sind sich viele Leser sicher.
In den ganzen “hippen” Stadtmagazinen schreiben viele zugezogene Freiberufler, “um dann den alteingesessenen Berliner zu erzählen, was in der Stadt “cool” ist – weiß Tony. Die vielen alternativen Süddeutschen in Prenzlauer Berg arbeiten “mit ihren Privatschulen, Privatkindergärten selber daran, dass es mit der Chancengleichheit in Teilen Deutschlands bergab geht”, so Tony weiter.
Mario beklagt, dass ganze Strassenzüge von Großinvestoren aufgekauft werden. Besonders sauer stößt ihm und etlichen anderen Lesern die Doppelmoral der sogenannten Nimbys (not in my backyard) auf, “welche in Trendbezirke ziehen, aber dann über Lärm von alteingesessenen Clubs oder Lokalen klagen.”
“Westdeutsche Reihenhaussiedlung – der Bezirk verliert seinen Charakter”
Was ist nur aus der Bohème des Ostens geworden, die einst von Dissidenten, Kreativen und einfachen Arbeitern mit geerdeten Ansprüchen ans Leben (Ostler Eugen), geprägt wurde? „Die Stadt wird als Oberfläche wargenommen alles ist Transitraum und einer schnellen Veränderung unterworfen”, klagt bubu. Er kann nicht verstehen, “wie man ein städtisches Gesellschaftsmodell gutheißen kann in der nichts älter als höchstens eine Generation ist.“ Ossi Kleingeist Jungpionier weiß, was die Zugezogenen in Prenzlauer Berg suchen – “das Abenteuer Unterschicht”. “Meine Familie lebt seit Jahrhunderten hier, wir zahlen schon immer Steuern für diese Stadt und wir wollen sie genauso haben wie sie ist/war laut, dreckig, unfreundlich, provinziell und arm.” “Prenzlauer Berg gleicht schon seit langem charakterlich der Monokultur einer ländlichen Reihenhaussiedlung”, vergleicht bubu. Dem könnte Ostler Eugen glatt zustimmen. Er kommt eigentlich aus Bielefeld und ist “frustriert darüber, dass ich hier die ganzen Pappnasen wiedertreffe vor denen ich eigentlich geflohen bin.”
Gentrifizierung ist kein Naturgesetz, meint Aljoscha. Er blickt kämpferisch nach vorne. Die “Schlacht” die heute in Prenzlauer Berg geschlagen werde, entscheide auch über das “zukünftige Gesicht anderer Stadtteile, wie Pankow, Weissensee, Neukölln oder Wedding.”
– DIE VERTEIDIGUNG –
‘Zugezogenen-Debatte: Wir bleiben alle in Prenzlauer Berg!’ weiterlesen
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