
Dieser Beitrag ist längst überfällig. Immer wieder erreichen uns Leser-Kommentare über die vermeintliche Lächerlichkeit der Zugezogenen und ich möchte gerne darauf antworten. Ich freue mich, dass es noch “richtige” Berliner in dieser Stadt gibt, die dieses Weblog lesen, denn wie die meisten Zugezogenen kenne ich nur wenige gebürtige Berliner.
Gute Freunde kommen aus Köln, Kassel, Aurich, Magdeburg oder Kattowitz in Polen. Oder eben aus Oldenburg, Tübingen, oder Bacharach. Wenn man diese Orte auf einer Landkarte einzeichnet, ein guter Querschnitt der Bundesrepublik. Vielfältig ist daher auch das Brauchtum, das diese Leute mitbringen. Kaum ein Treffen also, auf dem es nicht rheinischen Sauerbraten, Kohl mit Pinkel oder Käsespätzle gäbe. Oder Omas Apfelkuchen.
Wir Zugezogenen fühlen uns trotzdem als Berliner, schließlich war es unsere Wahl, hierher zu kommen und wir sind nicht von Geburt aus dazu verdammt worden, in einem bestimmten Kiez zu leben. Wir ziehen gern um, weil wir neugierig sind auf die Stadt, die so viel zu bieten hat. Wie viele meiner zugezogenen Freunde lebe ich mittlerweile im dritten Berliner Bezirk. Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain – we have seen it all. Selbst in Tempelhof hat eine Freundin zur Zwischenmiete gewohnt – eine Mobilität, die man den meisten Ur-Berlinern wohl weniger zutrauen würde.
Dem Kleinstadtmief entkommen mit seiner Nachkriegsarchitektur, kämen wir nie auf die Idee, uns in einen 50er-Jahre-Bau im Westteil der Stadt einzumieten. Auch die Vorzüge von Ost-Plattenbauten leuchten uns nicht ein. Zugige Altbau-Fenster nehmen wir gern in Kauf, wenn die Deckenhöhe stimmt und die Nachbarn lässig sind.
Wir Zugezogenen kaufen unser Brot im Bioladen und haben noch keine Friedrichshainer Metzgerei von innen gesehen. Mit Schmalzstullen kann man uns jagen, statt Berliner Pilsner trinken wir Tannenzäpfle oder Beck’s. Wenn die Eltern anreisen, oder Freunde, die noch immer in ihrem Geburtsort leben, drehen wir richtig auf. Wir führen sie an Orte fernab der Touristenmeilen. An Orte, die sie schockieren müssen – wie das Kottbusser Tor oder fahren mit ihnen nach Marzahn, wo Plattenbauten “rückgebaut” werden.
Laue Frühlingsabende wie diesen lassen wir meist in einem Kreuzberger Straßencafé ausklingen. Entspannt natürlich, denn für den Tatort am Sonntag müssen wir wieder fit sein…
Foto: Henning Onken
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