Wir bloggen Berlin – Blog News Bezirke

Monatsarchiv für Oktober 2007

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Ein Kiez-Terrier in Rente?

In Friedrichshain lebt ein Mann, der Tag für Tag Müll auf Bürgersteigen aufhebt und ihn anschließend dorthin steckt, wo wir ihn alle sehen sollen – auf Fenstersimse, hinter Regenrohre und auf Bänke. “Alles voll hier!”, schimpft der etwa 60-Jährige und gibt Passanten noch ein giftiges Wort mit auf den Weg. “Haste billigen Glühwein abgeschleppt – Fusel!”, mault er jemanden an, der einige Liter H-Milch trägt. Im Supermarkt schimpft er, gebeugt über seinen Einkaufswagen, lauthals über den Verrat der Sozialdemokratie am Volk, das sich hier in der Schlange langsam abkassieren lässt. Er wird nach Kräften ignoriert.

Zu den Öko-Aktivisten, die im ganzen Stadtgebiet teure Autos tiefer legen, gehört der Mann in abgetragener Rentner-Mode eher nicht. Dafür richtet sich sein Ärger zu unspezifisch gegen jeden, der ihm begegnet. Er könnte mal Abschnittsbevollmächtigter gewesen sein, eine Art DDR-Blockwart, meint eine Freundin. Vielleicht ärgert er sich deshalb für den Rest seines Lebens über alle unachtsam weg geworfenen Dinge.

Fotostrecke: Berliner Seitenblicke

Das Revival des Erdgeschosses

Erdgeschosswohnungen werden zunehmend beliebter – dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man abends durch Kreuzberg läuft. Wo bis vor kurzem Rollläden herunter gelassen waren, hängen nun Vorhänge in den Fenstern. Im Gräfekiez kann man Leuten direkt ins Wohnzimmer blicken. “Ganz schön exhibitionistisch veranlagt, die da drüben”, meinte ein Freund und schmunzelte über ein Zimmer mit vielen Bücherregalen. “Jetzt weiß alle Welt, wie belesen sie sind.”

In der Ratiborstraße hat eine Familie in einem Hinterhof direkt vor ihrem Fenster eine Art Mini-Garten angelegt, Sandkiste inklusive. Vielleicht sind die Mietpreise in Kreuzberg derart explodiert, dass das Erdgeschoss mit einem Mal zur einzig bezahlbaren Alternative wird? Besser in Kreuzberg auf der Präsentierfläche, als in einer Neuköllner Dachgeschosswohnung?

Dem Berliner Mieterverein liegen bislang keine Erkenntnisse über ein Umdenken vor. “Ich wohne im Parterre und liebe es”, sagte eine Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung. “Aber das scheint mir eine Frage persönlicher Präferenzen zu sein.” Es gebe ja auch Berliner, die nie freiwillig in den vierten Stock ziehen würden.

Auf ein Leben im Erdgeschoss, im Schaufenster, hätte ich dennoch keine Lust. Erinnert zwar an Holland, aber Bierflaschen auf dem Fenstersims – nee, bedankt.

So jut und doch geschlossen: Das Sojus-Kino

Sojus-Kino in Berlin-Marzahn. Foto: Anne Grieger

Plattenbauten soweit das Auge reicht und irgendwo dazwischen ein Kino: Das war das Sojus, das legendäre Programmkino am Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Nach 26 Jahren wurde es nun endgültig geschlossen. Zum Bedauern vieler Anwohner. Das Kino ihrer Kindheit, schwärmte eine Bekannte, die mittlerweile in Friedrichshain wohnt. “Glaubste nicht, aber der Eintritt hat bis vor kurzem nur zwei Euro gekostet, dienstags sogar nur einen!” Einmalig in Berlin, für den Preis kann man in der Boxhagener Straße nicht einmal eine DVD leihen.

Am Konzept scheint es nicht gelegen zu haben. Der Betreiber, die Hamburger Billig-Kino-Kette k-motion, hatte das Gebäude nur gemietet und ist nun vor die Tür gesetzt worden, berichtet die Berliner Morgenpost. Obwohl die Leiterin mit der Resonanz “ganz zufrieden” gewesen sei.

Das Sojus ist seit längerem nicht mehr das einzige Kino vor Ort, gegenüber des Einkaufscenters Eastgate hat ein Blockbuster-Palast eröffnet. Erich Honecker, der 1981 offenbar persönlich für das Sojus Kino eingetreten war, um einen großen Saal zum Reden zu haben, hätte hier also heute einige hundert Meter weiter eine weitaus größere Plattform gefunden. Kürzlich wurde in dem Blockbuster-Kino der Film “The Bourne Ultimatum” gezeigt. Der wird im Sojus nicht mehr zu sehen sein – neue Filme liefen dort erst einige Monate später. Ob es wohl ein Ultimatum an den Betreiber des Sojus gab?

Sie drehen sich für Berlin nach dem Wind

Windmühle in Marzahn

Windrad im Berliner Umland

Sie steht da, wo Journalisten gerne hingehen, wenn der Redaktionsleiter sagt: Schreib was, das richtig wehtut. Fahr’ nach Marzahn und stimme ein Klagelied über Arbeitslose, rechte Schläger und Abriss-Plattenbauten an. Und irgendwann kommt doch mal einer mit der Geschichte über eine Windmühle zurück. Die mahlt auf einem eigens dafür aufgeschütteten Hügel an der Landsberger Allee Mehl für eine nahe gelegene Bäckerei. Die positive Wirkung für den Bezirk lässt sich gar nicht in Säcke packen. Das weiß auch das Standesamt und traut dort Paare. Wie romantisch! Anwohner heiraten und lassen sich anschließend auf einem Bollerwagen fröhlich durch die Allee der Kosmonauten und die Marzahner Promenade ziehen, der ärmsten Straße Berlins. Diese Mühle hat das Zeug zum Kiez-Wahrzeichen, zum Leuchtturm.

Zwanzig Fahrrad-Minuten östlich der Berliner Stadtgrenze dreht sich ein namenloses Windrad auf einem Feld in der Nähe von Altlandsberg. Geheiratet wird dort nicht. Nur der Generator brummt auf dem Feld und manchmal brummt auch ein Auto auf der Landstraße vorbei. Die vielen Brüder und Schwestern in der Gegend, die vielleicht Nordex N60 oder ähnlich heißen mögen, produzieren neben Öko-Strom für die Hauptstadt auch Öko-Ärger. Was, wenn eine der mit viel Mühe gepäppelten Brandenburger Großtrappen im Anflug auf ihren Familien-Landeplatz vom Flügel eines Wind-Spargels zu Fall gebracht wird?, fragt eine Umweltschützerin.

Fotostrecke: Berliner Seitenblicke

Nachflohmarkten am Boxi

Flohmarktschrott in einem Mülleimer am Boxhagener Platz - Foto: Anne Grieger

Vor dem Flohmarkt ist nach dem Flohmarkt. Am Boxhagener Platz in Friedrichshain verzweifeln Händler an ihrem Schrott. Was am Ende des Tages nicht verkauft wurde, wird entsorgt. Wenn auch nicht sachgerecht, wie hier in der Grünanlage gegenüber des Spielplatzes.

Der Berg neben dem Mülleimer wuchs und wuchs und wurde doch teilweise wieder abgetragen. Der Boxi-Flohmarkt mag selbst kein Geheimtipp mehr sein: Wer jedoch den richtigen Augenblick abpasst und nicht wählerisch ist, kommt nach dem Flohmarkt auf seine Kosten. Videorekorder, ein neues Fondue-Set, ein Kinder-Fahrradhelm – all das wechselte innerhalb kürzester Zeit den Besitzer. Schade nur, dass die persönliche Begegnung, das Feilschen damit entfällt – eine höhere Kunst, die geübt sein will.

Schöner Wohnen im Knast

Ehemaliges Gefängnis Rummelsburg

Wie mag sich ein Ex-Häftling fühlen, wenn er dieser Tage noch einmal seine Zelle in der früheren Haftanstalt Rummelsburg anschauen möchte? Er wird sie nicht mehr vorfinden. Stattdessen wird er am Ort seiner Haft auf eine junge Familie stoßen, die sich für eine schmucke Musterwohnung interessiert. Dennoch wird ihn zumindest von außen vieles an seine Zeit im DDR-Knast erinnern. Die Nummern der Zellen stehen noch immer in großen Lettern an der Fassade unter den Fenstern. Auch der Wachturm ist noch da, von dem beim Hofgang misstrauische Wärter lugten. Prominentester und einer der letzten Häftlinge war übrigens der gestürzte DDR-Staatschef Erich Honecker, wenn auch nur für eine Nacht.

Wohnraum entsteht in Berlin durch hohen Leerstand nur noch, wo es sich wirklich lohnt. Die Rummelsburger Bucht in Lichtenberg ist so ein Ort. Eine landeseigene GmbH vermarktet das Entwicklungsgebiet als “Wasserstadt Rummelsburg” und hat seit Mitte der 90er Jahre mehr als 2000 Wohnungen gebaut. Auch auf dem “Berlin Campus”, der seit 1990 leerstehenden Haftanstalt an der Hauptstraße, sind schon mehr als 140 Wohnungen verkauft worden. Werbung mit Sprüchen wie “Attraktives Wohnen am Wasser” funktioniert offenbar.

Wie lebt es sich in einem edelsanierten Knast? Wahrscheinlich nicht anders als in irgendeiner Zwei-Raum-Wohnung, in der der wir wohnhaft sind – oder in der wir in Wohnhaft sind, sobald die Tür sich schließt…

Fotostrecke: Fassaden der Hauptstadt

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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