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Monatsarchiv für März 2008

Keine Kontrollfreaks in Neukölln

Foto: Anne Grieger

Pallettenweise hatte Familie B. aus dem Vorderhaus Katzenfutter nach Hause geschleppt, immer wieder. Sie horteten das Zeug offenbar, wenn es gerade günstig war. Dann verabschiedete sich das Tier, starb. Die Futterkonserven landeten im Hof – “für die Nachbarn”. Es folgten der Katzen-Baum, ein angenagter Sisal-Teppich. Jemand anderes stellte einen alten Kühlschrank dazu, der aussah, als hätte er jahrelang kein Putzmittel gesehen.

Die Hausverwaltung ließ mitteilen, die Kosten für das Reinigungsunternehmen würden auf alle Mieter umgelegt. “Das sieht doch noch harmlos aus”, meinte ein Freund, der in Freiburg ganz andere Erfahrungen gemacht hatte. In seinem Haus hätten Kontrollfreaks gewohnt, das sei schlimmer gewesen. “Die haben gelbe Tonnen durchwühlt, sobald jemand versehentlich Altpapier in den Recycling-Müll geworfen hat.” Der “Täter” wäre dann – sofern irgendwie identifizierbar – bei der Hausverwaltung angezeigt worden.

Irgend etwas dazwischen wäre schon gut.

Entmietet wegen Rütli, irgendwie ironisch

Wieder einmal sorgt die Rütli-Schule unfreiwillig für Negativschlagzeilen, dabei klingen die Pläne für den neuen “Campus Rütli” durchaus verheißungsvoll. Wie jetzt bekannt wurde, müssen nicht nur die Kleingärtner der benachbarten Kolonie “Hand in Hand” ihre Zelte abbrechen, sondern auch die Beschäftigten eines benachbarten Gewerbehofes. Das Bezirksamt von Neukölln soll den Betreibern mehrerer Autowerkstätten, einer Lackiererei und einem Rohstoffhändler wegen Eigenbedarf vorzeitig gekündigt haben.

Der Grund: Für den Aufbau des “Campus Rütli” werden die angrenzenden Flächen dringend gebraucht. Das Konzept sieht ein Zusammengehen der Rütli-Schule mit der benachbarten Realschule als Gemeinschaftsschule vor, zudem soll ein umfassendes Betreuungsangebot geschaffen werden. Eine Kita, ein Jugendclub, Sport- und Freizeitstätten, Werkstätten und Beratungsstellen werden alle in unmittelbarer Nähe zur Schule entstehen, rund 1400 Kinder und Jugendliche sollen hier unterrichtet und ganztägig betreut werden. So ist eine neue Grundschule auf dem Gelände der Schrebergartensiedlung offenbar beschlossene Sache, und dort, wo bis vor kurzem noch Autos repariert wurden, wird bald eine neue Quartiershalle stehen.

Gut für die Schüler? Sicherlich, nur hätte eine Einbindung der Gewerbetreibenden den Rütlianern wahrscheinlich noch mehr genutzt. Schüler hätten von einer Kooperation profitieren können – als Praktikanten und Auszubildende. In der neuen Quartiershalle dürften sich die Entmieteten wohl kaum blicken lassen.

Hier verschwindet ein Schandfleck – oder mal wieder etwas vom Osten

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Sonderlich hübsch ist die Abriss-Platte in der Grunerstraße hinter dem Alex nicht gewesen. Seit der Deutschen Einheit stand der Betonklotz, der bis dahin Sitz des früheren DDR-Gesundheitsministeriums war, leer. Wenn das 14-geschossige Gebäude nun Platte für Platte abgetragen wird, werden es wohl allenfalls ein paar DDR-Nostalgiker vermissen. Wenn überhaupt.

Dabei ist dieser Abriss erst der Anfang, der Bezirk Mitte wird radikal umgestaltet. Der gesamte Straßenverlauf der Hauptverkehrsachse Grunerstraße, Mühlendamm, Getraudenstraße soll schmaler werden, Bauarbeiten haben bereits begonnen. Statt der rund 70 000 Fahrzeuge, die täglich diese Strecke passieren, sollen es künftig nur noch 50 000 sein.

Zudem wird in Kürze zwischen Rotem Rathaus und Altem Stadthaus ein neues Stadtviertel aus dem Boden gestampft. Ironie der Geschichte – die meisten Flächen des ehemaligen Zentrums der DDR will der Senat gewinnbringend an Investoren verkaufen. An der Stelle des DDR-Gesundheitministeriums soll ein Luxus-Hotel entstehen. Honecker hätte sich sicher im Grab umgedreht.

Fotostrecke: Fassaden der Hauptstadt

Trotz blöder Werbung: Berlin ist nicht ganz gekauft

Werbung in der Potsdamer Straße in Berlin-Mitte - Foto Henning Onken

Berlin ist voll von dämlicher Werbung. Der neue Hauptstadtslogan etwa klingt nach Stotterei, ist rekordverdächtig kurz, erschreckend unkreativ und die Kampagne dahinter kostet zehn Millionen Euro. Außerdem mussten wir gestern erfahren, dass “be berlin” möglicherweise geklaut ist – kopiert von dem Entwurf zweier Grafiker, die sich bei dem Wettbewerb ein Preisgeld erhofft hatten.

Eines aber muss man der Stadtverwaltung lassen – sie handelt folgerichtig. Einen Mehrwert aus dem zu ziehen, was Bürger freiwillig an Ideen und Geschichten auf die Webseite “sei berlin” hochladen, ist sinnentleert und trendy zugleich. Ich für meinen Teil fülle auf dem Amt schon genug Formulare aus und möchte einfach nur hier leben.

Völlig aus der Art geschlagen ist die Aktion einer Düsseldorfer Agentur, die in Berlin für einen Autohersteller wirbt. Gestern Nacht wurden dabei 1000 Straßenschilder hauptsächlich in Mitte mit der Aufschrift “Sunset Boulevard” überklebt. Am selben Tag begannen außerdem Arbeiter damit, am Springer-Hochhaus ein riesiges Plakat mit dem Namen von Deutschlands auflagenstärkstem Boulevardblatt zu entrollen. Damit jeder weiß, dass demnächst die Redaktion von Hamburg nach Berlin ziehen wird.

Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen, mit dreiäugigen Fröschen, die an jeder Ecke dreist und illegal für Mobilfunkgeräte quaken oder riesigen Plakaten eines DSL-Übermodels.

Dabei darf man nicht vergessen, dass Werbeplätze weiter Konjunktur haben. Vom S-Bahnhof Potsdamer Platz bis zur Neuen Nationalgalerie zieht sich eine Reihe von neuen Werbeboxen der Firma Wall. Darin drehen sich zwei Platzhaltermotive, elektronisch getaktet und 24 Stunden lang.

Um aber zum Schluss auf den Titel dieses Beitrags zurückzukommen, warum ich also Berlin trotz dieser tollwütigen Besetzungen öffentlicher Räume irgendwie mag: Weil es Orte gibt, die nicht von oben bis unten gekauft wirken. Und weil es Menschen gibt, die die Botschaft von Werbung immer wieder ins Abseits stellen.

Hier sind ein paar Bilder mit großen Gefühlen.

Bochum ist sehr weit weg…

NRW mitten in Mitte - Foto: Anne Grieger
Dass die Genossen der nordrhein-westfälischen SPD selbst in der Hauptstadt plakatieren, ist eher ungewöhnlich. Letzte Woche entdeckte ich dieses Plakat der Kampagne “No Nokia” mitten im Regierungsviertel. Etwas ironisch, ich kam von einer Veranstaltung, auf der die amerikanische Handelskammer den Standort Deutschland in höchsten Tönen gelobt hatte. Viele amerikanische Unternehmen wollten neue Stellen in der BRD schaffen, hieß es dort.

Berlin, weiterhin arm und sexy trotz neuer Imagekampagne, dürfte wohl auch profitieren. Vielleicht eine Perspektive für Prekäre mit guten Englischkenntnissen, endlich das nötige Kleingeld für ein iPhone zu verdienen. Bis dahin ist Bochum sehr weit weg und das alte Nokia-Handy noch funktional.

Stop! Streik: Was Berlin von Athen trennt

Streik von Müllmännern in Athen - Foto: Jos Verhoogen

Der Streik ist beendet, der Streik geht weiter. Seit Wochen kämpfen städtische Angestellte um höhere Löhne – U-Bahnen, Busse und Trams bleiben in den Depots, der Müll wird trotzdem abgeholt. Ich hätte den Arbeitskampf gar nicht bemerkt, wenn nicht dauernd davon geredet würde. Zeitungen berichten vom “großen Chaos”, Politiker fürchten Image-Schäden für Berlin. Nur “Skurrilsenator” Sarrazin verliert die Laune nicht – er freut sich darüber, dass die Stadt in dieser Zeit an Personalkosten spart.

Ja, es mag sein, dass die Straßen noch verstopfter sind als sonst, aber am Stau kommt man als Radfahrer immer vorbei. Dabei lässt sich ein Arbeitskampf auch ganz anders organisieren, wie das Beispiel Athen zeigt. Dort bewerfen streikende Müllmänner Polizisten mit stinkenden Babywindeln und lassen den Müll einfach liegen. Aufzüge sollte man dort zurzeit nur mit Handy in der Tasche betreten, weil die Elektrizitätswerke den Strom abstellen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Angeblich streiken dort sogar Anwälte.

Wenn in Berlin S- und U-Bahnen gleichzeitig still stehen und der Müll nicht entsorgt wird, dürfte selbst Senator Sarrazin länger überlegen müssen, bis ihm ein provokanter Spruch einfällt. Damit sich der neue Hauptstadt-Slogan “Be Berlin” nicht mit “verteile deinen Müll” oder “sei stinkig” in den Köpfen festsetzt, würde die Arbeitgeberseite sicher schnell zu einer Lösung bereit sein.

Aber keine Angst, einen echten Chaos-Streik wie in Athen wird es in Berlin so schnell nicht geben. Schließlich stecken Arbeitnehmer in unterschiedlichen Verträgen und sehen sich an Streikrecht gebunden. Sie können nicht einfach aus Solidarität mit anderen Angestellten ihrer Arbeit fernbleiben. Und selbst innerhalb einzelner Unternehmen gibt es die Klasse von Lokführern oder Piloten und die der Reinigungskräfte.

Foto: Jos Verhoogen

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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