Wenn in Berlin überhaupt irgendwas richtig gut funktioniert, dann ist es die Kunstmaschine. Ihr Takt treibt Touristen wie Besessene durch die Auguststraße, verzweifelt, wenn sie in drei Tagen Hauptstadt immer noch unbesuchte Kreuzchen auf ihren Stadtplänen sehen, den sie wie eine Schatzkarte vor sich her tragen. Oh je, bitte nicht zurück nach London ohne den Wohnzimmerfund.
Die Berliner Kunstmaschine macht Menschen in der ganzen Republik zu Getriebenen. Der Galerist aus Köln hat Angst etwas zu verpassen und eröffnet eine Niederlassung in Mitte, während sein alteingesessener Kollege die nächste Fabriketage anmietet. Und mehr als 400 Galerien sind immer noch nicht genug. Berlin hat viel zu wenig Ausstellungsflächen und weil die Not so groß ist, brauchen wir eine temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz.
Die Sturm-und-Drang-Spur dieser Entwicklung zieht sich bis in einen kleinen Bauwagen in Treptow. Darin befindet sich die wohl kleinste Galerie Berlins, am Ufer des Landwehrkanals und am Rande der Wagenburg Lohmühle gelegen. Zurzeit hängen dort Bilder mit ein wenig Widerstands-Romantik, mit Wehmut an das Lagerfeuer im Wendland oder das Zeltlager vor Heiligendamm. Aufnahmen eben, die gut zu einer Wagenburg passen. Es sitzt kein Galerist herum, ja es ist die meist Zeit überhaupt niemand dort, nur ein Jogger schnauft mal vorbei, und dann wieder einer.
Man denkt nach: Es gibt Kunst, die einen anschreit und Kunst am Wegesrand. Es gibt Kunst, die keine ist und solche, die zu Vandalismus erklärt wird. Mal dreht es sich darum, davon zu leben, mal ist es ein innerstes Bedürfnis und alles andere nicht so wichtig. Ja, liebe Kunstsucher, macht ruhig noch ein Kreuzchen mehr auf euren Stadtplan.
Fotostrecke: Berliner Seitenblicke
Scheint was dran zu sein an der Beobachtung. Eine Freundin, promovierte Kunsthistorikerin, krebste seit Jahren herum, hat aber neuerdings lauter Projekte und sogar Jobangebote von Galerien bekommen.
Kenne auf der anderen Seite aber kaum jemanden, der Galerien besucht. Berührungsängste scheinen da größer zu sein, als bei Museen.
@rebecca:
davon leben können??? glaubste selbst nicht, die machen alle irgendwas mit kunst und kriegen nebenbei noch geld vom staat, um auf den hartz4-satz zu kommen. vom verkauf einiger postkarten am tag kann man seine miete nicht zahlen, aber ja – berlin ist ja so kreativ.
@blauäugig, da hast du voll und ganz recht. So ist es. Aber besser Kunst machen mit Geld vom Staat und neue Projekte starten als depressiv
in den Seilen hängen. Schließlich werden ja auch viele Wirtschaftszweige in Berlin subventioniert, warum nicht auch Künstler??
Sie sind schließlich für eine Stadt wie Berlin Identitätsstiftend und auch zieht dieser Ruf Berlins Touristen und Kunstfreunde an. Das wird gar nicht genug gewürdigt. Künstler bekommen noch lange nicht genug Geld für Ausstellungsbeteiligungen, Stadtteilaufwertungen durch Ansiedlung in “prekären, bildungsfernen” (!) Stadtteilen. So gesehen sind wir unterbezahlt, machen wir doch aus fast nichts, Kunst.
Der oben gezeigte Wagen steht ja schon sehr lange da, leider fand ich die ausgestellte Kunst dort immer sehr langweilig. Würde dort was interessanteres hängen, wäre Sie mit Sicherheit auch schon geklaut worden.
Was nicht alles förderungswürdig ist in dieser Stadt. Wenn am Wochenende tatsächlich beim Bürgerentscheid die Media-Spree-Gegner durchkommen, hat der Bezirk so viele Schulden, dass das Geld vorn und hinten nicht mehr reicht. An eine Kunstförderung ist da gar nicht mehr zu denken.
Ein Bürgerentscheid – von Leuten die keine Ahnung haben, das Lumpenproletariat wählt -, es soll darüber beschließen, ob die Wirtschaft dieser Stasdt auf ein immerwährendes HarzIV Niveau gehalten werden kann, damit wir alle schön gegen die den entsetzlichen Kapitalismus meckern können. Das ist keine Demokratie. Volksentscheide und Volksabstimmungen gehören in den Index der verbotenen Dinge.
@Notreal:
Aber nicht doch. Wie trudi666 schon sagte, machen Künstler und Leute aus Subkulturen Berlin attraktiv. Glauben Sie, Touris kommen wegen des Potsdamer Platzes nach Berlin? Neben den vielen Museen und Ausstellungen sind vor allem Szenekieze angesagt, Strandbars etc.
Gegen Touris hab ich nichts, bin selber oft Tourist. Aber Leute, die dauerhaft Freiräume zubetonieren sind mir suspekt.
@Katharina S.
Gnädige Frau,
augenscheinlich bin ich mißverstanden worden. Wen interessieren denn die Touristen? es wäre zu banal, was hat der Potsdamer Platz damit zu tun, das wissen Sie alleine. Gnädige Frau , ES GEHT UM DIE INVESTOREN, um sie hierher zu locken. Wir Berliner sind noch von der verdrißlichen Ökogünanarkoalternative ( nichtsbringenden) Mentalität umwoben und befallen – wie bei einer Krankheit. Sie nennen die Touristen, ah bah! .O der wollen Sie wirklcih eine immerwährende HarzIV, taugenichts Metropole.Ich ziehe mich aus diese Denkweise heraus.
Hin und wieder finde ich die Außenperspektive zur Beurteilung der Vorgänge in Berlin recht hilfreich: Die NY Times hat der Brunnenstraße im letzten Jahr ein kleines Portrait gewidmet, und legt sie ihren Lesern als rohen aber charmanten neuen Kunst-Kiez ans Herz. Nicht ohne zu bemerken, die Gegend sei bis vor kurzem noch immun gegen Gentrifizierung gewesen.
Wow- Die NY Times und die Brunnenstrasse! Na da haben sich ja zwei gefunden.
Ist ja oft schon schwer eine Tageszeitung mit sinnvollen Artikeln und Themen voll zu bekommen. Sieht man ja auch am Tagesspiegel.
Es gibt doch den Spruch: Gleich und Gleich gesellt sich gern- der passt ja ggf. dazu.