In Kreuzberg mit dem roten Stoffbeutel unterwegs gewesen, kaufe Plastiktüten nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Der rote Beutel ist ein besserer Jute-Sack, der sogar vor den Augen japanischer Touristen bestehen kann. Kein Kommunisten-Beutel – im Gegenteil. Ausdruck eines [tendenziell wertkonservativen] Bonner Lokalpatriotismus, der mitunter unheimlich anmutet. Dort in der Buchhandlung ["Bouvier“] zu kaufen. Unverhofftes Zusammentreffen mit einer Exil-Bonnerin also auf dem Wochenmarkt am Neuköllner Maybachufer: Ob ich mich denn gut eingelebt hätte, in Kreuzkölln, fragt mich die mir unbekannte Person mit Sonnenbrille und Polo-Shirt. Leicht irritiert bejahe ich die Frage und überlege, wer diese Frau sein könnte. “Sie sind aus Bonn, habe es gleich gesehen“, sagt sie, und deutet auf meinen roten Einkaufsbeutel.
Die Stoffbeutel-Fraktion, sie wächst. In letzter Zeit sind sie mir häufiger aufgefallen, diese Bonner mit ihren Ein-Euro-Taschen von “Bouvier“. Jedes Mal bin ich schnell weitergelaufen und habe sie dann wieder vergessen. An der Uni ist mir kein einziger begegnet. Die Bonner mit den Stoffbeuteln sind meist älter. Zwangsversetzte Beamte, Mitarbeiter von Verbänden und so weiter. Berlin ist für viele dieser nicht angekommenen Pendler ein Moloch: Anonym, dreckig und proletarisch. Die Kinder hier zur Schule schicken? No way.
Gekränkte Eitelkeit
Das Thema Bonn-Berlin-Umzug, seit Jahren ein Dauerbrenner in der Bonner Lokalpresse, steht seit Anfang des Jahres wieder auf der politischen Agenda – Bonn-Berlin-Gesetz hin oder her. Schadenfroh titelt der Tagespiegel heute “Für die Zukunft vorgebaut“ und berichtet über Erweiterungsplanungen für sechs Bundesministerien in Berlin. Bonn ist eine schöne Stadt, keine Frage. Eine UN-Stadt neuerdings. Die Schulen scheinen okay, es gibt mehrere große Forschungseinrichtungen, Bühnen, Museen und Programmkinos. Wenig Müll, wenig Armut. Genug also, um nach fast 16 Jahren ein anderes Profil zu entwickeln, ein Profil jenseits der Bundespolitik.
Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen ist die Kostenfrage. Der Komplett-Umzug sei viel zu teuer, heißt es dann aus NRW immer wieder. Ich erinnere mich aber an keinen Bericht zum Thema, in dem die psychologische Dimension erörtert worden wäre. Wenn in die Kosten-Kalkulationen über einen Komplett-Umzug nach Berlin einbezogen würde, wie viele krankheitsbedingte Fehlstunden durch einen Umzug vermieden werden könnten, ergäben sich wahrscheinlich ganz andere Zahlen. Psychisch belastend erscheint die Situation der Pendler nämlich aus einer Außenperspektive allemal. Irgendwann die Koffer dauerhaft auspacken zu können, dürfte einigen Druck von diesen Menschen nehmen. Wer sich partout nicht auf Berlin einlassen kann und will, könnte sich einen im Rheinland nach einer anderen Stelle umschauen. Motivierte und kompetente Stellenanwärter gibt es in Berlin mit seinen über 100 000 Studierenden genug. Die sprechen aber wahrscheinlich eher schwäbisch als rheinisch, und haben keine roten Jutebeutel.
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