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Monatsarchiv für Dezember 2009

Berlin brutal #16: Der Motz-Verkäufer als Konkurrent

“Interesse an der Obdachlosenzeitung Strassenfeger, ein bisschen Kleingeld vielleicht?” Durch den Zigarettendunst der frierenden Raucher vor dem Hauptbahnhof läuft Hannes* von Passant zu Passant. Viele schütteln schon den Kopf, lächeln verlegen oder schauen schnell weg, wenn sie den Mann mit dem Irokesenschnitt nur sehen. Es gibt zu viele Menschen, die etwas verkaufen wollen auf dem Bahnhofsvorplatz: Zeitungen, Fahrscheine, Stadtrundfahrten.

Eine Raucherin erbarmt sich und nimmt Hannes einen Strassenfeger ab. Sie fragt, warum er seine Zeitung nicht lieber im warmen Bahnhofsgebäude anbiete. “Weil Sie nicht der deutschen Norm entsprechen, was das Aussehen betrifft?” Drinnen verkaufen sei verboten, sagt Hannes, das gelte für alle.

Also steht er in seiner Nietenlederjacke vor der Glastür. Der 23-jährige erntet skeptische Blicke und bedankt sich trotzdem. Er braucht jeden Cent. Für Essen, Tabletten und Alkohol. Sechs Jahre hat Hannes Heroin gespritzt. Jetzt ist er auf Methadon und kriegt Hartz IV. Und ist noch immer tablettensüchtig.

Raben flattern in den milchigen Nachmittagshimmel, die Luft ist feucht, es hat geregnet. Hannes rundes Gesicht mit den vielen Piercings ist vor Kälte rot angelaufen. Er will einen Kaffee. Den kauft er gleich am Eingang, er versenkt neun Päckchen Zucker in den Pappbecher. Er braucht Energie, sein Stammplatz mit Blick aufs Kanzleramt muss verteidigt werden – gegen die Konkurrenz. “Der Bärtige da, den kann ich überhaupt nicht leiden und er mich auch nicht. Wenn ich manchmal nach ein bisschen Kleingeld frage, kriegt der so einen Hals”, sagt Hannes.

Mit dem Bärtigen führt er einen Kleinkrieg. Der Mann ist Mitte 50, trägt einem blauem Stoffanorak und eine Aktentasche. Er stellt sich Reisenden einfach in den Weg und wedelt mit dem Konkurrenzblatt Motz. Das preist er als “Arbeitslosenzeitung” -  das ärgert Hannes besonders. Es sei eine Obdachlosenzeitung und keine Arbeitslosenzeitung, sagt Hannes.

Dabei hat er eine Wohnung in Wedding, wo er gemeinsam mit seiner Freundin, einem Hund und zwei Katzen lebt. Bald will er eine Therapie in einer stationären Einrichtung beginnen. Doch bis die bewilligt sei, müsse er vor dem Bahnhof stehen mit seinen Strassenfeger-Heften: Er möchte Geld zur Seite legen, zwölf Zeitungen pro Tag zu verkaufen, das ist sein Ziel.

Nach zwei Stunden ist Hannes vier Zeitungen losgeworden. Regen platscht auf das Bahnhofsvordach, Hannes Finger sind inzwischen steif vor Kälte. Er kann das Kleingeld kaum zählen. 18 Euro sind es. Die wird er in der Apotheke lassen. Eine seiner Katzen ist erkältet und braucht Antibiotika.

*Name geändert

Beschissenes letztes Adventswochenende

Wer sich heute in die S-Bahn quetscht, muss verrückt sein. Oder auf dem Weg nach Hamburg: Am Alexanderplatz steigt ein Mann mit grünem Irokesenschnitt ein. Mitte 30, dicker Rucksack,  Schäferhund im Schlepptau. Abschätzig mustert er die Weihnachts-Shopper, die sich gegenseitig ihre Einkaufstüten in den Bauch rammen. Konsumgeile Spinner. Wie gut, dass er sein Handy hat. Er bimmelt einen Kumpel an. Der kommt kaum zu Wort:

“Yo Pflaume, ich bin noch in der scheiß S-Bahn. Diese ganzen Idioten, Alter,  ääätzend! Scheiß Weihnachten. Lach nicht so dreckig! Was sagst du? Biste besoffen Alter? Ich versteh dich kaum. Ich komm nach Hamburg Alter! Wenn diese scheiß S-Bahn mal irgendwann am Hauptbahnhof ankommt und ich den Zug hier noch krieg, bin ich um halb sechs da. Wenn mich jemand mit dem Wochenendticket mitnimmt. Ja, ich hab Bier für die scheiß Fahrt, Alter. Würde auch echt nicht anders aushalten. Hab kaum geschlafen. Zu viel Wodka heute nacht. Scheiße Mann. Wollen wir heute Abend ein bisschen schnacken? Alles klar Alter. Super!”

Tschüss grüne Lücke: Wenn die Baugruppen kommen

Liebe ist die Antwort - Foto: Henning Onken

“Liebe ist die Antwort” steht seit Jahren auf dem einsamen Steinhaufen in der Scharnweberstraße in Friedrichshain. Nicht mehr lange, denn demnächst soll der wilde Garten hinter dem Zaun einem Neubau mit Eigentumswohnungen weichen. Als “offen, ökologisch und flexibel” preist die Baugruppe Südwestsonne ihr Projekt an: Sie hat eine der letzten Freiflächen der Gegend erobert.

Die grünen Lücken zwischen Häusern sind gefragt, besonders in Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg. Hier sind in 20 Jahren Stadterneuerung frisch getünchte Fassaden und ausgebaute Dachgeschosswohnungen entstanden. Jetzt verteilt der Senat die letzten Freiflächen in den beliebten Quartieren, von denen viele durch Weltkriegsbomben entstanden waren. Das stößt nicht überall auf Gegenliebe. In der Treptower Lohmühlenstraße mussten Bäume für einen Neubau gefällt werden. “Hier entsteht ein Obdachlosenheim”, hat jemand an den Bauzaun gesprüht, aus Ärger über die zukünftigen Besitzer der Eigentumswohnungen.

Baugruppenprojekt in der Lohmühlenstraße - Foto: Anne Onken

Wahrscheinlich wird das Wort Baugruppe in linken Kreisen eine ähnliche Negativkarriere machen wie Gentrifizierung – eine Bezeichnung, mit der noch vor einem Jahr kaum jemand etwas anfangen konnte, die aber jetzt in aller Munde ist. Baugruppen robben sich an, schnappen in den besten Kiezlagen Gewerbehöfe, Parkplätze und Hundewiesen. Die neuen Nachbarn wohnen in maßgeschneiderten Niedrigenergie-, Passiv- oder Mehrgenerationenhäusern und freuen sich über kurze Wege zu Kitas und Szene-Cafés.

Viele Bewohner der inzwischen mehr als 100 Berliner Baugruppenprojekte fühlen sich missverstanden. Sie wollen “in einer Hausgemeinschaft wohnen und Gemeinschaftsflächen gemeinsam gestalten und nutzen”, betont etwa die K20 in der Kreutzigerstraße. Das hört sich so an, als seien dort ehemalige Hausbesetzer zu Geld gekommen.

Kinder- und Jugendarbeit: Die Opfer der nächsten Sparrunde wehren sich

Forckenbergplatz - Foto: Henning Onken

“Kein Ausverkauf der Kinder- und Jugendarbeit” prangt seit Monaten in bunten Lettern an dem Pavillon am Forckenbeckplatz. Im Internet haben die Sozialarbeiter ein fiktives Sommerschlussverkauf-Exposé veröffentlicht, in dem der Abenteuerspielplatz Forcki samt Haus  “Kokon” zum Verkauf angepriesen wird:  “Die zum Objekt gehörende Freifläche [Ca. 1600 m²] eignet sich hervorragend für eine Minigolfanlage oder Paintballgelände”, steht da unter anderem. Was steckt dahinter?

Ab Januar sollen alle öffentlichen Jugendeinrichtungen von Freien Trägern übernommen werden. Der Bezirk will so Personalkosten einsparen.  Zwei Millionen sollen im kommenden Haushaltsjahr in Friedrichshain-Kreuzberg für Jugend, Familie und Schule fehlen. Für die Beschäftigten in der Kinder- und Jugendarbeit ein denkbar schlechtes Signal – sie fürchten um ihre Jobs. Auch in den übrigen Berliner Bezirken sieht es nicht anders aus – es sollen überall Gelder gestrichen werden. Deshalb findet heute Abend vor dem Roten Rathaus eine Demonstration statt unter dem Motto “Keine Kürzungen nirgendwo”.

Aber zurück zum Forckenbeckplatz:  Der geriet am Wochenende in die Schlagzeilen, weil dort ein Zivilpolizist völlig unmotiviert von Jugendlichen angegriffen wurde. Da fragt man sich,  ob die Bezirke nicht sogar mehr Gelder auftreiben sollten, um auch älteren Teenies länger interessante Freizeitangebote im Kiez machen zu können.

Zum Weltaidstag – Gefühlsecht in Kreuzberg

"Zieh doch dein Kondom an!" - Spruch in der Forster Straße in Berlin-Kreuzberg - Foto: Henning Onken

“Zieh doch dein Kondom an!” – Wie viele Kreuzberger dieser Aufforderung in der Forster Straße nachkommen, können wir nur erahnen. Männer, die ihr Gummi beim Sex vergessen, können nicht nur flüchtige Bekanntschaften schwängern. Sie begeben sich auch in eine tödliche Gefahr oder verteilen sie weiter: Jeden Tag steckt sich ein Berliner mit dem HI-Virus an.

Gut möglich, dass eine Frau diese Benimmregel für dumme Jungs in einem frustrierten Moment geschrieben hat. Der Spruch könnte aber auch eine Kreuzberger Variante der Aids-Aufklärungskampagne darstellen.

Gib Aids keine Chance: Kondome schützen
Fotostrecke: Berliner Seitenblicke

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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