Wenn einmal im Jahr Ministerien oder Museen zum Tag der offenen Tür einladen, stehen Tausende Schlange. Anders vor der Zentrale von Scientology in der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg: Dort ist anscheinend jeden Tag ein Tag der offenen Tür. Es locken weder Blaskapellen, noch Stehtische mit Kaffee und Kuchen. Den einzigen Besucher auf diesem Foto erwartet nur die bekannte Mischung aus Psycho-Gedudel, verfänglichen Persönlichkeitstests und stapelweise Bücher des Gurus L. Ron Hubbard. Die werden allerdings verkauft – wirklich umsonst gibt es nur misstrauische Blicke der “operierenden Thetane” von drinnen.
Es wäre weniger skurril, das Schild “Heute Tag der offenen Tür” vor einem Media-Markt aufzustellen als vor dieser “Kirche”. Gut dass diese Werbung offenbar nicht funktioniert, auch nicht mit Gratis-Massagen vor der Weltzeituhr. Der Berliner ist schließlich nicht blöd.
Kein Wunder, dass in Berlin so viele Räder geklaut werden. Wenn man am helllichten Tag ein Fahrradschloss knackt und dafür mehrere Anläufe braucht, regt sich niemand darüber auf. Worüber auch? Ich habe mein gestohlenes Schrottrad wiedergefunden – keine 500 m von dem Hof entfernt, aus dem es geklaut wurde. Es hatte ein neues Schloss und stand gegenüber eines Restaurants an der Frankfurter Allee.
Leute stocherten dort in ihren Sparmenus, plauderten, guckten in die Luft. In aller Ruhe konnten wir das Rad von dem fremden Schloss befreien. Den geliehenen Bolzenschneider unter dem Arm, den Kaufbeleg in der Hosentasche rauschten wir davon. Ich hätte von den Leuten im Café wirklich mehr erwartet.
Vor 56 Jahren begann hier der Aufstand des 17. Juni: “Wir wollen freie Menschen sein” riefen Bauarbeiter am Rosengarten in der Stalinallee. Der Volksaufstand entzündete sich an der Normerhöhung der SED-Regierung, durch die Arbeiter länger am Block 40 (im Hintergrund) schuften mussten.
Wer heute nach Spuren der gescheiterten Revolte sucht, findet am verwunschenen Garten einen Gedenkstein mit Plakette. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat ihn vor sechs Jahren spendiert. Anfangs sorgte er noch für Unmut bei den Anwohnern und wurde verunstaltet. Inzwischen haben sich die vielen ehemaligen Funktionäre, die noch heute im Umfeld wohnen, offenbar damit abgefunden.
Wen die Ereignisse von damals und die sozialistische Vergangenheit der Karl-Marx-Allee interessieren, der kann sich gegenüber im Café Sibylle informieren.
Geschrieben von Anne Onken am 12. Juni 2009. Geschlossen
Ein toller Fund im Netz: Es gibt einen Free Guide für Berlin mit Tipps zu kostenlosen Kulturveranstaltungen - Konzerten, Ausstellungen, Lesungen. Auch nerdige Bars, in denen man umsonst Atari spielen kann, fehlen nicht. Vielleicht haben kleine unbekannte Locations so eine Chance, Ruhm zu erlangen im Großstadt-Dickicht.
Landluft und Wiesen sind nichts, was Touristen von der Berliner Innenstadt erwarten. Dennoch sind Besucher auf einmal ganz weit draußen, wenn sie von der Temporären Kunsthalle aus über den Schloßplatz schauen. Wucherndes Grün beginnt sich fast wie ein Teppich des Vergessens über den Platz zu legen, an dem bis vor kurzem die Ruine des Palasts der Republik in den Himmel ragte. Hinter dem Zaun fehlen eigentlich nur die Kühe.
Weiter hinten, am Spreeufer, wird gearbeitet und Gras gesät. Im Juli soll es endlich so hoch gewachsen sein, dass wir die Wiese betreten dürfen. Viele werden diesen Platz vermissen, wenn das Humboldt-Forum Gestalt annimmt.
14 Jahre alt und vor einem großen Moment: 58 Jugendliche rauschen in einen Kinosaal an der Landsberger Allee. Sie stecken in ihren besten Klamotten und setzen sich aufgeregt in die ersten Reihen – vor ihre Eltern, Geschwister, Onkel und Omas. Hier läuft heute kein Blockbuster, obwohl die Schüler auf der Leinwand zu neuen Jedi-Rittern gekürt werden. Hier werden in Spielfilmlänge Erwachsene aus Kindern gemacht.
Ich hatte die Jugendweihe schon als Teil der Zeitgeschichte betrachtet, bis mir beim Anstehen in einem Postamt 22 verschiedene Glückwunschkarten zur Jugendweihe auffielen. Typisch für diesen Rentnerkiez, wo nicht nur Ost-Regale, sondern auch Traditionen an Kinder und Enkel weitergegeben werden, dachte ich. Dann habe ich im Vorbeigehen näher hingehört, wenn Halbwüchsige in der Nähe waren. Und siehe da, Kinder in Friedrichshain unterhalten sich über Geschenke zur Jugendweihe. Während sich die halbe Stadt über die Sitten der Zugezogenen beklagt, lebt ein altes Ritual in den Shopping-Malls von Friedrichshain, Mitte und Marzahn fort: Die ganze Familie beklatscht ihren Nachwuchs an geschichtslosen Orten der Illusion: Filmpaläste und Einkaufscenter sind die Kirchen des Ostens.
Im Arbeiter- und Bauernstaat war die Jugendweihe als Ersatz für Konfirmation und Firmung fast verpflichtend. Auch nach der Wende hielt sich das Ritual, erst in den vergangenen Jahren sind die Zahlen rückläufig. Den Eintritt in die Welt der Erwachsenen feiern die meisten Berliner inzwischen weder in der Kirche noch in humanistischen Verbänden. Sie wechseln sang- und klanglos ins andere Lager. Das ist nicht schlimm, denn wahrscheinlich sind andere Momente wichtiger als dieser Auftritt in schlecht sitzenden Klamotten.
Wann werden wir erwachsen? Vielleicht bei dem Triumph, als der Kassierer die Wodka-Flasche über den Scanner zieht und nicht mehr nach dem Ausweis fragt. Oder auf der Veranda übereinander. Es könnte auch das Gefühl sein, nach Jahren einen Song von damals wieder zu entdecken. Irgendwo ist da ein Bruch, der oft erst spät bewusst wird. Schade nur um die Geschenke der Konfirmierten und Geweihten.
“Was bedeutet Dir die Jugendweihe?”, fragt der schwitzende Show-Moderator. Stille in der UCI-Kinowelt, keiner der verlegenen Jung-Erwachsenen weiß eine Antwort. Vielleicht ist das die Wahrheit über ein sinnentleertes Ritual, für das die Eltern 116 Euro bezahlt haben. Vielleicht ist es aber auch nur eine blöde Frage für 14-Jährige, die auf dieses Ereignis nicht vorbereitet wurden.
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