Hallo, was machen Sie denn da?”, ruft eine Frauenstimme. “Fotos”, sage ich in die Dunkelheit hinein, und sehe schemenhaft, wie sich wenige Meter von mir eine Person aufrichtet. Offenbar beruhigt diese Antwort, sie kuschelt sich wieder in ihren Schlafsack und erzählt mir im Liegen von Berlin: Historische Gebäude verschwimmen mit Museen und unendlich vielen Gesichtern in der U-Bahn – Nachtgedanken einer Touristin aus Koblenz, die erst am Mittag angereist ist. Vom Palast der Republik hat Ines nichts gehört, obwohl sie mit ihrer Freundin direkt am Bauzaun pennt. Es ist drei Uhr morgens und Vollmond, wir sind allein auf dem Schlossplatz.
Still ist es hier um diese Zeit, wie so oft an Orten, die verfallen. Aus Ruinen auferstanden, das war die DDR, denke ich. Und irgendwo dort, wo jetzt ein riesiges Loch im Stahlgerippe klafft, hat einst Honecker auf dem Balkon gestanden und lahm gewunken. Nimmermehr, statt 40 Jahren DDR feiert hier wohl bald das Kaiserreich mit einer stolzen Fassade eine kleine Wiederkehr. Aber das ist eine andere Geschichte, denn ich rede nicht über neue Träume von einem alten Schloss. Ich bin wie gebannt von der Ästhetik der Zerstörung.
“Fraktale IV – Tod” hieß eine der letzten Palast-Ausstellungen, bevor Bagger anrückten, sich Baucontainer stapelten und Kräne zu rotieren begannen. Tod und Zerstörung lösen an vielen Orten eine emsige Betriebsamkeit aus. Wenn Unternehmen abstürzen, bekommen die Beschäftigten Angst vor Heuschrecken, bei Immobilien wünschen wir uns “Miethaie zu Fischstäbchen”. Auch in Herman Melvilles “Moby Dick” zieht die Schutzlosigkeit des sterbenden Kolosses die Haie an: “Wenn nach der mühsamen Jagd bis spät in die Nacht endlich der erlegte Wal längsseits des Bootes liegt, geht jeder an Bord in seine Hängematte. Doch schlafen können die Männer kaum, denn unter dem Schiff reißen die Haie schmatzend die besten Stücke aus dem Kadaver. Gierig und ohne Unterlaß nagen sie, verbeißen sich ineinander, und die See um das Boot ist wie eine Gischt aus offenen Mäulern.” (sehr frei übersetzt nach Melville, Kap. 66 “The Shark Massacre“).
Fotoserie: Vom Palast zur grünen Wiese…
Der Palast der Republik wird nicht binnen sechs Stunden massakriert, soviel ist klar. Dass hier dennoch eifrig genagt wird, belegt ein Daumenkino der Bilder seit Beginn der Abrissarbeiten. Jeden Tag ein kleines Massaker sozusagen, mittlerweile ist das Gerippe schon halbiert worden. Nur nachts ist es ruhig wie auf dem Friedhof. Und wenn nicht irgendein verrückter Blogger bei Vollmond knipsend durch die Gegend läuft, können auch Touristen hier ihren Schlaf finden.
Eines noch, da wir gerade dabei waren, Entsprechungen für das Verhalten von Tieren in uns Menschen zu suchen: Woran erkennt man eigentlich einen Haifisch in der U-Bahn?
Hallo! Haie in der Spree sind unsichtbare Räuber, die sich über die gewöhnlichen Fischbestände hermachen. Eh man sich versieht, sind die
Bestände geplündert.Bevor das Bewusstsein erwacht, ist ein Palast entkernt aber durch seine Fassade fliegen beim Mondenschein Heuschrecken. Eine gespenstische Szene.Der Fahrgast in der morgentlichen 5, 20 U-Bahn ist nopch unrasiert. Er spürt hinter der Fassade seines Lebens Heuschrecken und fragt sich: Bin ich der Hai in der U-Bahn?
Monty
mein lieber mensch monty! da hast du echt den kern des textes erfasst. ich bin begeistert…