Wir bloggen Berlin – Blog News Bezirke

Monatsarchiv für Juli 2010

Der Gehsteig gehört allen, oder?


Neun Uhr morgens. Der Weg zum Bäcker führt durch eine Horde schlafender Punks. Sie sind in den frühen Morgenstunden des Feierns müde geworden, haben irgendwo eine Matratze gefunden und pennen nun mit ihren Hunden auf dem Gehsteig. Auch schön. Weiter geht’s im Slalom an alten Fahrrädern, eingerüsteten Häuserfassaden und Schutthaufen vorbei. Die Schrippen werden in den 90er Jahren noch in Mark und Pfennig bezahlt. An solche Bilder erinnern sich Bewohner bestimmter Straßen in Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte mit Abscheu, Wut oder sogar Sehnsucht.

Der Trottoir hat sich gewandelt. Belagert von feiernden Touristen, benebelt durch Essensdünste und im Zickzack an großen Blumenkübeln vorbei führt an diesen schönen Sommertagen ein schmaler Pfad – der Bürgersteig. Wer zu lang trödelt und unschlüssig wirkt, wird von vielen Wirten am Wegesrand schon als Kunde betrachtet. Sie haben ihren Claim abgesteckt, tun fast so, als hätte man ihren Laden bereits betreten und nach einem Tisch gefragt. Nicht weiter schlimm, so ein Dschungeltrip über Berlins Feiermeilen,  solange man keinen Kinderwagen schiebt oder im Rollstuhl sitzt.

Wer aber denkt, dass sich in Berlin jeder nach Belieben auf dem Gehweg ausbreiten kann, hat sich getäuscht. Alles was über den “Gemeingebrauch” hinausgeht, ist genehmigungspflichtig. Selbst Grillwalker brauchen eine Erlaubnis vom Ordnungsamt – ein Pfad von mindestens 1,50 Metern muss unverstellt bleiben.

Diese Erfahrung machen gerade die Bewohner von zwei Hausprojekten in der Liebigstraße in Friedrichshain: Seit den 90er Jahren stellen sie Bänke, Sofas und Stühle vor ihre Häuser. Jetzt will die Stadt ihnen zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind. Unter Polizeischutz transportierten Müllmänner schon zum zweiten Mal alte Polstergarnituren ab.

Die Polizei will verhindern, dass ihre Streifenwagen von dieser Ecke aus weiter mit Flaschen und Steinen beworfen werden. Dass Leute nachts auf der Straße Lagerfeuer machen oder Botschaften wie “All cops are bastards” (ACAB) in großen Buchstaben auf die Kreuzung schreiben. Und wahrscheinlich glauben Polizisten auch, dass teure Autos wie der Benz auf dem Foto an einem menschenleeren Boulevard länger unversehrt bleiben.

Gehört der Bürgersteig wirklich nur denen, die ihn belagern? Oder Wirten, die Anträge stellen und dafür bezahlen? Nicht ganz – manches wird stillschweigend geduldet. Baumscheibenbeete von Anwohnern werden toleriert, ebenso Blumenkübel und Verschenke-Ecken. Alles was schön ist also.

Toleriert werden aber auch alte Waschmaschinen, kaputte Autos und Hundehaufen, möchte man böse hinzufügen. Die 90er Jahre sind also doch noch nicht ganz vorbei.

Fotos: Christian Hetey (1), Henning Onken (2,3)

Fünf Orte am Fluss der verkauften Stadt

“Es ist hier schon ein bisschen privater”, hat Linda auf ein Schild geschrieben. Die Lücke im Bauzaun sieht nicht jeder, und der Weg zum Ufer führt durch Gestrüpp. Wer hier her kommt, kann den Schiffen zuschauen, bis die Sonne untergeht und eine kühle Brise vom Wasser herauf weht. Während am anderen Ufer Mediaspree-Projekte gewachsen sind, hat sich hier nur die Steppe ausgebreitet – und Streetart. Von weitem grüßen zwei riesige Figuren des Künstlers Blu von einer Brandwand. Nicht mal eine Strandbar hat sich hier angesiedelt, es ist ein Ort mitten in Berlin, der sich der Stadt entzieht. Von hier aus sind es zwei Minuten Fußweg bis zum Schlesischen Tor, zwei Minuten, die Wildnis vom Gewühl trennen.

Natürlich sollten auch hier schon seit vielen Jahren Lofts und Ladenflächen entstehen, doch wie so oft kam den Investoren etwas dazwischen. Ein kleiner Flohmarkt, ein Zirkus, und Menschen die hier Lagerfeuer machen und auch mal übernachten – das ist alles, was sich hier in den letzten Jahren abgespielt hat.

Das sollte so bleiben, meinen Mediaspree-Gegner, die am vergangenen Wochenende unter dem Motto “Rette deine Stadt!” auf die Straße gezogen sind. Zugegeben, vielen geht es dabei eher um den Erhalt von Clubs wie der Bar25 oder der Maria, die das Spreeufer auch beim internationalen EasyJetSet bekannt gemacht haben. Anderen sind aber gerade diese Orte ein Dorn im Auge: “Bar 25: Nach der Demo noch ‘nen Sekt im Adidas-gesponserten ‘Slum’”, stand auf dem Schild einer Demonstrantin. An echten Freiräumen wird kein Eintritt verlangt.

Noch privater als in der Brache an der Cuvrystraße geht es hinter einem Supermarkt in der Köpenicker Straße zu. Perfekter Ort, um ein schwieriges Buch zu lesen oder über das Leben in der Stadt zu sinnieren. Allerdings ist die Aussicht beschränkt und kaum jemand weiß, was das Mädchen an der Wand auf Russisch erzählt.

Im Plänterwald patrouillieren Sicherheitsleute um den verfallenen Spreepark. Der Treptower Park nebenan ist zwar auch am Wasser und kostenlos für alle da, aber was ist schon eine volle Liegewiese gegen einen Abenteuerspielplatz mit umgestürzten Dinosauriern und einem verrosteten Riesenrad? Angeblich interessieren sich die Macher der Bar25 für das Gelände, doch das haben schon viele mögliche Investoren gesagt.

Der vierte Ort liegt im wahrsten Sinne des Wortes im Fluss. An der Brommystraße in Kreuzberg soll wieder eine Brücke über die Spree geschlagen werden, nachdem die Verbindung im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Doch bis wieder Autos oder Radfahrer hinüber zur Arena am Ostbahnhof fahren, ließe sich auf den Pfeilerresten im Fluss eine Republik gründen. Aber nur für Bootsbesitzer oder erfahrene Schwimmer.

Welch ein Zufall, dass der letzte Halt wieder an einen Zaun führt, irgendwo in Mitte. Dahinter stehen leere Flaschen. So ist das immer wieder: Zäune hier, Mauern dort und dann wieder eine Strandbar. Ein Spreeufer für Alle muss anders aussehen. Doch wenn ich es richtig sehe, wünschen sich die meisten Berliner einen Schrebergarten am Wasser, egal ob Zugezogene oder Ureinwohner. Zum Chillen mit Freunden, aber ohne Touristen.

Unsere Schule ist keine Leinwand

Die frisch sanierte Turnhalle der Justus-von-Liebig-Grundschule glänzt in der Abendsonne. Doch schon von weitem fällt auf, dass gleich nach den Bauarbeitern die Sprayer kamen: Mit einem Feuerlöscher voller Farbe hat jemand meterhoch kaum lesbare Buchstaben an die Wand getextet, darunter prangt eine Warnung: “Liebig 14: bei Räumung Randale! Für rechtsfreie Räume!” Willkommen im Nordkiez von Berlin-Friedrichshain.

“Wer macht diese Sauerei wieder weg?”, fragt Carsten von Heynitz, der sich im Förderverein der Schule engagiert. Sein Sohn besucht hier als eines von 400 Kindern die Schule, er geht in die erste Klasse. Die alte Friedrichshainer Schule wurde gerade mit mehreren Millionen Euro aus EU-Mitteln saniert, doch dem Bezirk fehlt das Geld, die Graffiti zu beseitigen. “Damit müssen Sie selbst mit fertig werden”, beschied das Amt dem Förderverein.

Heynitz ärgert besonders, dass Kinder so die falschen Schlüsse ziehen könnten. Dass ihnen eine Haltung vorgelebt werde, die jede Achtung vor dem Gemeingut und dem Besitz anderer vermissen lasse. Auch habe die Schule mit dem Kampf um den Bestand des linken Hausprojekts Liebig 14 schließlich nichts zu tun.

Diese kleine Begebenheit wird vielen Berlinern auch aus anderen Bezirken bekannt vorkommen. Doch nicht überall ist eine frisch verklinkerte Mauer gleich eine Leinwand: Kürzlich blieb der Sohn eines Freundes verblüfft vor dieser Schule stehen und ließ sich mit großer Verwunderung auch die Farbbomben an den umliegenden Häuserfassaden zeigen.

Wie erklärt man einem Achtjährigen Gentrifizierungsdebatten und Häuserkämpfe? Anton hörte mit großer Neugier zu, aber der fragende Ausdruck in seinem Gesicht verschwand nicht. Zuletzt war ihm klar, dass in dieser Gegend einige Menschen leben, die  “sauer” sind. Er wächst in einer ruhigen Ecke Treptows auf.

Der lachende Dritte

An vielen Wänden Berlins wartet ein frecher Kerl und lacht uns aus. Oder hat er sich gerade einen Witz erzählt? Der Berliner Streetart-Künstler “Mein Lieber Prost” hat mir erzählt, was er über seine inzwischen stadtweit bekannten Zeichnungen denkt.

Prost, wie heißt denn der Knabe?

Ich wollte ihm keinen Namen geben, er drückt einfach ein tiefes Gefühl aus. Aber nachdem mich so viele darauf angesprochen haben, nenne ich ihn Prostie.

An einem Bauzaun an der Jannowitzbrücke macht sich Prostie über Touristen lustig. Warum eigentlich?

Touristen nerven, besonders wenn sie betrunken sind und in Gruppen durch die Stadt laufen. “Oh my gosh! It’s so awesome, you knööw!”- wenn ich sowas schon höre. Sie blockieren die Straße und wollen immer, dass man Englisch mit ihnen spricht. Wie respektlos! Und die Berliner machen auch noch mit – vielleicht aus alter Verbundenheit, weil das Ausland sie von Hitler befreit hat.

Wie steht er zu den Berlinern? Lachen sie zu wenig, ist diese Stadt zu ernst?

Berliner lachen öfter und lauter als der Rest Deutschlands – genau wie Prostie, der hier geboren ist. Zugleich sind die Berliner offener.  Es gibt Dinge, über die man stolz sein kann und andere, die schlecht sind und sich nicht ändern lassen. Prostie lacht auch darüber, und zwar laut.

Mit den Worten “Merry Crisis” lacht uns Prostie auf einem Plakat an einer Wagenburg an. Warum hat er auch in der Krise gute Laune?

Lachen ist ein Ausdruck von Glück. Die  Medien versetzten die Menschen mit Horrormeldungen in Panik. Ich sitze jedenfalls nicht herum und blase Trübsal. Die Krise wird vorüber gehen und eines Tages wiederkommen. Auch ich bin nicht immer glücklich, aber ich weiß: Es gibt keinen Weg zum Glück, weil das Glück selbst der Weg ist.
Was läuft falsch in dieser Stadt?
Überall entstehen neue Häuser und Eigentumswohnungen für Yuppies, die es ihren Vorbildern in der Werbung gleich machen wollen:  Dicke Autos und Designhäuser.  Diese Leute wünschen sich Reichtum, Schönheit und Glück von einer ganz anderen Art. Sie kommen aus verschiedenen Städten, um hier ihre kleine, exklusive und abgeschlossene Welt zu verwirklichen. Es sind Langweiler, die für ihren Job und einen Bausparvertrag leben … ein anderes Leben ist möglich!

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

Zufallsfotos

Kostenlos abonnieren

Unser RSS-Feed enthält alle neuen Artikel. Ihr könnt sie auch bequem als E-Mail abonnieren
www.fensterzumhof.eu gibt es jetzt auch in einer Smartphone-Version

Anzeige

Berliner Streetart

Berlin bei Nacht

Berliner Plakate

Fassaden der Hauptstadt

Berliner Hinterhöfe

Andere Blogs


Wenn Sie auf dieser Seite verbleiben, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr Informationen

Diese Website verwendet Cookies, um Anzeigen zu personalisieren. Informationen zu Ihrer Nutzung dieser Webseite werden an Werbepartner weitergegeben. Indem Sie weiter auf dieser Website navigieren, ohne die Cookie-Einstellungen Ihres Browsers zu ändern, stimmen Sie dieser Verwendung von Cookies zu.

Schließen