Neun Uhr morgens. Der Weg zum Bäcker führt durch eine Horde schlafender Punks. Sie sind in den frühen Morgenstunden des Feierns müde geworden, haben irgendwo eine Matratze gefunden und pennen nun mit ihren Hunden auf dem Gehsteig. Auch schön. Weiter geht’s im Slalom an alten Fahrrädern, eingerüsteten Häuserfassaden und Schutthaufen vorbei. Die Schrippen werden in den 90er Jahren noch in Mark und Pfennig bezahlt. An solche Bilder erinnern sich Bewohner bestimmter Straßen in Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte mit Abscheu, Wut oder sogar Sehnsucht.
Der Trottoir hat sich gewandelt. Belagert von feiernden Touristen, benebelt durch Essensdünste und im Zickzack an großen Blumenkübeln vorbei führt an diesen schönen Sommertagen ein schmaler Pfad – der Bürgersteig. Wer zu lang trödelt und unschlüssig wirkt, wird von vielen Wirten am Wegesrand schon als Kunde betrachtet. Sie haben ihren Claim abgesteckt, tun fast so, als hätte man ihren Laden bereits betreten und nach einem Tisch gefragt. Nicht weiter schlimm, so ein Dschungeltrip über Berlins Feiermeilen, solange man keinen Kinderwagen schiebt oder im Rollstuhl sitzt.
Wer aber denkt, dass sich in Berlin jeder nach Belieben auf dem Gehweg ausbreiten kann, hat sich getäuscht. Alles was über den “Gemeingebrauch” hinausgeht, ist genehmigungspflichtig. Selbst Grillwalker brauchen eine Erlaubnis vom Ordnungsamt – ein Pfad von mindestens 1,50 Metern muss unverstellt bleiben.
Diese Erfahrung machen gerade die Bewohner von zwei Hausprojekten in der Liebigstraße in Friedrichshain: Seit den 90er Jahren stellen sie Bänke, Sofas und Stühle vor ihre Häuser. Jetzt will die Stadt ihnen zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind. Unter Polizeischutz transportierten Müllmänner schon zum zweiten Mal alte Polstergarnituren ab.
Die Polizei will verhindern, dass ihre Streifenwagen von dieser Ecke aus weiter mit Flaschen und Steinen beworfen werden. Dass Leute nachts auf der Straße Lagerfeuer machen oder Botschaften wie “All cops are bastards” (ACAB) in großen Buchstaben auf die Kreuzung schreiben. Und wahrscheinlich glauben Polizisten auch, dass teure Autos wie der Benz auf dem Foto an einem menschenleeren Boulevard länger unversehrt bleiben.
Gehört der Bürgersteig wirklich nur denen, die ihn belagern? Oder Wirten, die Anträge stellen und dafür bezahlen? Nicht ganz – manches wird stillschweigend geduldet. Baumscheibenbeete von Anwohnern werden toleriert, ebenso Blumenkübel und Verschenke-Ecken. Alles was schön ist also.
Toleriert werden aber auch alte Waschmaschinen, kaputte Autos und Hundehaufen, möchte man böse hinzufügen. Die 90er Jahre sind also doch noch nicht ganz vorbei.
Fotos: Christian Hetey (1), Henning Onken (2,3)
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