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Monatsarchiv für August 2008

Gar nicht sexy: Ausziehen für eine neue Wohnung

Die großen Datensammler in dieser Stadt sind die Hausverwaltungen. Wir haben eine Wohnung gesucht, wochenlang. Wie oft wir die gesammelten Bewerbungsunterlagen eingereicht haben, habe ich nicht mitgezählt -  mindestens 20 Leute, Vormieter und Makler inklusive, wissen aber, wie hoch unsere Einkommen sind, ob ein Schufa-Eintrag vorliegt, wie teuer die vorherige Wohnung war, ob Instrumente gespielt werden.

Ohne dieses irrsinnige Verfahren geht es nicht. Bei bis zu 25 Mitbewerbern kann man nicht davon ausgehen, dass Hausverwalter mit sich reden lassen. Sicher, sie sind vorsichtig – Mietschulden eintreiben zu müssen, ist lästig. Wer nichts zu verbergen hat, wird sich schon nicht anstellen. “Wir wollen keinen Stress mit unseren Mietern”, meinte unser Makler und bemerkte ganz beiläufig, dass man sonst gezwungen sei, “Maßnahmen zu ergreifen”. Wer “man” ist, wissen wir nicht – der Name des Besitzers tauchte im Mietvertrag nicht auf. Außer dass es “eine Privatperson” sei, ließen sich weder Makler noch Hausverwaltung etwas entlocken.

Die Nachmietersuche ist nicht weniger unappetitlich, man wird sogar noch gezwungen, das Spiel mitzuspielen. Ohne Schufa-Auskunft werde kein Nachmieter akzeptiert, heißt es. Was macht man aber mit einem Bewerber aus dem Ausland, der bislang keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat, geschweige denn ein Konto? “Wenn im Reisepass keine Adresse steht, braucht man von Einwohnermeldeamt ein Dokument aus dem hervorgeht, dass man keinen festen Wohnsitz hat”, sagt eine Schufa-Mitarbeiterin. Erst dann könne eine Auskunft erteilt werden. Alles klar. Bis alle Dokumente vorliegen, können Tage vergehen. Ein anderer Bewerber schickt alle erforderlichen Unterlagen am gleichen Abend per E-Mail, darunter ungeschwärzte Kontoauszüge, die Auskunft über jeden kleinen Einkauf geben. Interessiert mich nicht, aber was geht es den künfigen Vermieter an, ob jemand tatsächlich noch einen Fuß in eine Lidl-Filiale setzt?

Arbeitslos und allein: Über Tom, der den Mut verlor

Ich hatte geahnt, dass es nicht gut um Tom stand. Er stapfte wie aufgezogen das Treppenhaus hoch, grüßte mechanisch. Aber dass er mit seinen Mitte 20 aus dem dritten Stock in den Hof springen würde, war ihm nicht anzusehen. Jene Leere gähnt in Berlin zu oft aus Gesichtern in der U-Bahn oder in der Schlange vor der Kasse, als dass sie besonders aufgefallen wäre. Ich nenne den lebensmüden Nachbarn hier Tom aus dem Treppenhaus, weil ich ihn nicht näher kannte, ja nicht kennen wollte.

Das wurde mir klar, als ich am nächsten Tag die im Hof verstreuten Spuren des Rettungseinsatzes betrachtete: Einen leeren Infusionsbeutel, Blut, einen Turnschuh. Er hatte andere bedroht, trank ständig Bier, war arbeitslos und seines Lebens müde – mehr weiß ich nicht. In der Summe habe ich leider nur gleichgültig zugeschaut, wie jemand den Mut verlor. Wie so oft, denn Selbstmord gehört zum Alltag in Berlin.

Meist bleibt es ein stiller Tod, der schnell vertuscht wird. Manchmal, wenn die S-Bahn nicht weiterfährt und die Lautsprecher am Gleis vage eine Streckensperrung verkünden, hat sich jemand auf die Schienen geworfen. Wir reden über Nacktbaden am Müggelsee, werden aufmerksamer für Kindesvernachlässigung und das Hundekotproblem. Aber selbst die Polizei berichtet lieber von Fahrrad-Kontrollen als von Menschen, die sich das Leben nehmen – wegen potentieller Nachahmer. Hin und wieder ist ein Promi darunter, dann lässt es sich nicht vermeiden.

Die letzte Statistik zur Suizidhäufigkeit in Berlin ist drei Jahre alt. Demnach liegt das Risiko für einen freiwilligen Tod in Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Neukölln am höchsten: 40 Prozent von insgesamt 636 erfassten Selbstmorden im Jahr 2005 geschahen in diesen drei Bezirken. Seit 30 Jahren geht die Suizidrate zurück, was aber nicht für Ausländer in Berlin gilt. Insgesamt liegt das Freitod-Risiko der Hauptstadt unter dem Bundesdurchschnitt.

Aber was sagt schon eine Statistik, wenn man daneben steht, wie Rettungskräfte im Hof murmeln, jemand habe “eine saftige Landung hingelegt”?

Freunde fürs Leben: Infos über Suizid und Depression

“Heirate reich oder lass es lieber ganz…”

In Kreuzberg gibt es eine Agentur in der Nähe des Landwehrkanals, die sich genau diesen Namen gegeben hat – “Heirate Reich”. Das mag komisch anmuten, scheint aber angesichts des Brimboriums, das viele um “den Tag” veranstalten, nur folgerichtig zu sein. Verschulden will sich schließlich niemand.

Die letzte Hochzeit, zu der ich eingeladen war, fand in Brandenburg statt, in der Märkischen Schweiz in einem Haus am See.  Sehr abgeschieden und mindestens eine dreiviertel Stunde mit dem Fahrrad vom nächsten Bahnhof entfernt, ein rauschendes Fest. An eine Rückfahrt am gleichen Abend war nicht zu denken, und ein Zelt aufzubauen erschien unpassend. Eine andere Hochzeit von einer Bekannten aus Schulzeiten sollte am Bodensee gefeiert werden – das war definitiv zu weit weg, die Anreise hätte allein schon einen Tag gedauert.

Wo man sich auch umhört – oft scheint es darauf hinauszulaufen, dass man sich an irgendeinen abgeschiedenen Ort begeben und dann mindestens eineinhalb Tage gepflegte Gespräche mit Tanten, Onkeln und Arbeitskollegen von entfernten Bekannten führen muss. Bis in eine kleine Stadt in der Slowakei reiste letztens ein Freund mit dem Zug von Berlin aus – seinen Urlaub wollte er dort nicht wirklich verbringen.

Für Gäste scheint es jedenfalls angenehmer, nicht auf eine entfernte Burg reisen zu müssen.  Reich einheiraten hin oder her,  das Bürgeramt der Wahlheimat Kreuzberg liegt doch in der Schlesischen Straße schön zentral und Party-Locations gibt es in der Nähe eine Menge..

Klischee-Maschine Neukölln: Wenn Leitmedien den Absturz suchen

Hui, Spiegel-TV ist mal wieder investigativ, hat einen Film zu Neukölln gedreht, der in mehreren Folgen auf Spiegel Online zu sehen ist. Der erste kurze Clip zum “Hinterhof der Hauptstadt” ist seit heute online und porträtiert die “letzten Deutschen” im Bezirk. Natürlich in einer Kiez-Kaschemme, ausgerüstet mit Baseball-Schlägern gegen die Abgründe da draußen. In der nächsten Folge nähert sich der Regisseur dann einigen Gangsta-Kids.

Voyeuse, die ich bin, habe ich den Beitrag zu Ende geschaut – wenn auch mit Bauchschmerzen. Die Protagonisten kommen dabei nicht sonderlich gut weg: Eine wehrhafte Wirtin, die Wert auf die Feststellung legt, kein Opfer zu sein und ein latent fremdenfeindlicher Hausmeister, der sich dem Kampf gegen Sperrmüll verschrieben hat.

Aber darum geht es nicht. Mit reißerischen Sozialreportagen können Online-Medien jede Menge Klicks machen und ihren Zuschauern das Gefühl geben, anderen ginge es noch schlechter. Ressentiments und Vorurteile werden großzügig bedient, das Boulevard-Prinzip also auch beim Spiegel. Aber genug. Sonst entsteht hier noch der Eindruck, ich wollte ernsthaft Werbung für den Film machen.

Ein Hoch auf Berlins schmutzige Ecken…

…denn durch sie hat die Berliner CDU ein Thema gefunden, das den Berliner mitten ins Herz trifft. Oder sind Ihnen weggeworfene Junkie-Spritzen oder zersplitterte Bierflaschen auf Spielplätzen etwa egal? Schockierend, nicht wahr? Deshalb suchen die Frauen und Männer um Friedbert Pflüger jetzt mit einer entsprechend bebilderten Postkartenaktion die schlimmsten “Dreckecken” der Hauptstadt. Aus dem Material will die Partei einen Stadtplan erstellen, der dann dem Senat übergeben werden soll.

Es war schon klar, dass Herr Pflüger nicht zum Saubermachen vorbeikommt, aber ein Problem im Roten Rathaus abzugeben, klingt schon ein wenig einfach. Vielleicht kommt von den Unions-Aktiven wenigstens noch jemand auf die Idee, Schüler in ihren Ferien zu Putzeinsätzen abzukommandieren. Oder vielleicht die Einführung von Überwachungskameras in Parks, wo es nach schönen Wochenenden aussieht wie während der Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke. Nein, der Berliner seufzt, hüpft über die Hundehaufen und zahlt dafür weniger Miete als zum Beispiel in den meisten Stadtteilen Hamburgs. Das ist doch auch was, oder? Was denken Sie?

Foto: Christian Hetey

Fotostrecke: Berliner Seitenblicke

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  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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