Eine Frau mit Rollkoffer steigt am Alexanderplatz in die U8. Unsicher studiert sie den Fahrplan über der Tür und mustert die Fahrgäste. Ihr Blick bleibt an einem Jugendlichen hängen, der breitbeinig auf einer Bank sitzt und Kaugummi kaut. Als der Zug anfährt, zieht die etwa 40-Jährige ein Handy aus dem Mantel. Ihre Stirn legt sich in Falten, während sie die Zahlen auf dem Display liest. Nervös zieht sie den Koffer näher an sich heran und verlässt an der Jannowitzbrücke überstürzt die Bahn.
Nein, es war keine gute Idee, ein Hotelzimmer in Kreuzberg zu buchen. Warum ist sie nicht gleich darauf gekommen, diesen cleveren Index für antisoziales Verhalten zu prüfen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären ihr auf dem Weg vom Tagungsort zum Hotel Drogendealer, Schläger und Diebe begegnet, sicherlich lauerten ihr einige bereits in der Bahn auf.
So fallen Entscheidungen bei der Suche nach Hotels, Wohnungen und Restaurants. Noch nicht heute, aber spätestens dann, wenn ein eifriger TU-Student Berliner Polizeidaten in Excel-Tabellen überträgt, nach Postleitzahlen sortiert und eine Smartphone-Anwendung damit füttert.
In Großbritannien hat eine solche Anwendung die iPhone-Charts gestürmt. Das “Asborometer” zeigt dem Nutzer auf seinem Smartphone Polizeistatistiken über antisoziales Verhalten am aktuellen Standort an. Grundlage sind die öffentlich einsehbaren “Anti-Social-Behaviour-Orders”, die alltägliche Kriminalität wie Vandalismus, Diebstahl oder Drogenverkauf ahnden.
Angesichts von mehr als vier Millionen Überwachungskameras macht sich in England kaum jemand Gedanken über Anwendungen für Mobiltelefone. Was aber können solche persönlichen Radargeräte sozialer Verwerfungen für Viertel bedeuten, die sich als Brennpunkt erweisen? Wer kann, macht einen Bogen um diese Gegenden. Geht woanders essen, feiern oder einkaufen. Wer dort lebt, rückt noch weiter an den Rand der Gesellschaft und bleibt unter sich. In einer Stadt wie Berlin wird es mehr Menschen geben, die nicht wissen wie es am Kottbusser Tor aussieht. Menschen, die zehn Jahre in der Hauptstadt leben, aber nur den berechenbaren Bewegungsmustern von Touristen folgen, die Museen und Denkmäler abklappern.
Menschen mit Radar-Apps werden lieber ohne Angst in Steglitz leben, als einen Sonnenuntergang im Görlitzer Park zu erleben. Sie werden mich nie besuchen, weil ihr Telefon auch meine Straße für einen Kriminalitätsschwerpunkt hält, der Hundehaufen wegen. Willkommen im Ghetto!
Dieses Radar hat doch eigentlich jeder Berliner im Kopf.
Man merkt dann immer an den Polzeimeldungen wie leichtsinnig sich manche Touristen in schwierigen Gegenden der Stadt aufhalten.
Wenn es dieses App gäbe wäre die U8 sicherlich eine der übelsten Linien. Wobei U7 auch nicht schlecht ist. Ich fahre regelmäßig beide Linien.
Allerdings gehen die meisten Probleme wohl nie in eine Statistik ein weil man als Berliner in der Regel weiß wie man sich verhalten sollte wenn mal wieder jemand in der Bahn vom Hermannplatz bis Kottbusser Tor raucht oder betrunkene Jugendliche grölend oder mit extrem lauter Handymusik die Fahrgäste beschimpfen.
Alles schon mehrfach erlebt aber auch überlebt.
Vielleicht wird es dank dieser App auch mehr Ghetto-Touristen geben. Schaun wir mal, wie die Abgehängten und Kriminellen in einer europäischen Großstadt wohnen. Fundgrube für Fotografen. Aber Orwellsche Züge hat das Ganze, stimmt schon.
Die Name Kottbusser Tor wird hier mal wieder erwähnt …und ich frage mich, was habt ihr denn alle mit Kotti ? …Ich wohne seit 11 Jahren dort direkt aufm Platz, im NKZ-Bau (der übrigens noch nie renoviert und saniert wurde, frag sich warum…) und ich habe nie, aber nie Probleme gehabt, auch nie was gesehen, was mich verunsichern sollte …Ein sehr schöne Zufall, wa?
Ich fühle mich hier sicher, hier kennen sich die Menschen wie im Dorf, 4 bis 5 türkische Imbisse haben sehr spät auf und sind auch ein möglichen Zuflugsort, falls es doch zu Probleme kommen sollte. Im Grund genommen fühle ich mich hier genau so sicher als anderswo, ja meine Damen und Herren! Und die junge ausländische Turisten aus Paris, New-York, London, etc., die seit 2-3 Jahren den Viertel für sich erobert haben, und jetzt auch im Jugendhotel direkt Mitte im Platz wohnen, lachen sich bestimmt tot, wenn sie erfahren, dass Kotti für die ignorante deutsche Öffentlichkeit der “Bronx von Berlin” sein sollte …Und ich auch, aber eher von Traurigkeit.
Dazu komme ich oft sehr spät nach Hause zurück, in der nacht am Kotti, meiomei
Außerdem ist Berlin insgesamt eine sehr sichere Stadt, im Vergleich zu allen anderen großen europäischen Städten auf jeden Fall …Ist meine Erfahrung, auch wenn der Angst sich zur lächerliche Panik und Hass entwickelt, obwohl wir in Berlin es sehr gut haben. Ich warte nur noch auf dem Sommer, und dann ist die Gegend hier trotz Armut wie eine Art Urbanidylle: Kotti, Oranienstrasse, Kanalufer, Engeldamm, usw …Eigentlich sieht Kotti für (europäische) Ausländer gar nicht wie einen armen Viertel.
Na ja vielleicht haben Sie sich an den Anblick von Drogenabhängigen und anderen Randgruppen gewöhnt. Wäre nach 11 Jahren nicht ungewöhnlich.
Das der Kotti ein Berliner Kriminalitätsschwerpunkt ist sollte aber auch Ihnen schon mal aufgefallen sein. Den wirklich stark nach Urin stinkenden U-Bahn Zugängen mit vielen Schmutz und den Personen mit “schwierigen” Problemen die sich dort aufhalten- das können Sie doch nicht übersehen?
Das ist tatsächlich nichts für Touristen dort und schon überhaupt kein Aushängeschild von Berlin.
Ja, und Sven ?
Was stört sie an Drogenabhängigen ?
Welche meinen Sie eigentlich, die Trinker, die Raucher oder die, die an der Nadel hängen ?
Und meinen Sie im Ernst, ein Berliner (also nicht ein zugereister Schwabe), einer der am Kotti wohnt (!) wüsste nicht, daß am Kotti ein paar Kleinkriminelle rumhängen ?
Ich habe über 30 Jahre in Berlin gelebt, komischerweise ist mir nie was passiert – so what ?
Ist halt alles nicht so geleckt und sauber, wie in München oder Stuttgart ….; aber wems da besser gefällt, bitte.
Naja, der ganze Trara um noch´ne App verrät im Grunde nur eines: Die vollelektronische Verblödung marschiert.
Dieses App ist ja sicher auch eher für Touristen.
Berliner wissen ja eh wo in der Stadt Drogen, Kriminalität und Problembewohner zu Hause sind.
Und Ja auch mich als Berlinerin stören die Drogenhändler und -abhängigen in den Parks und einschlägigen Orten.
Was macht — oder besser: wer macht eigentlich ein Ghetto zum Ghetto? …wenn nicht, seine Bewohner. Aber die beim Namen zu nennen, ist politisch nicht erwünscht.
Ist nur meine subjektive Einschätzung, oder rekrutieren sich die Berlin-Touristen tatsächlich zu großen Teilen aus Backpackern und jungen Hostelgästen? Die wird es – Security-Apps hin oder her – zum Shoppen, Ausgehen etc. wohl immer noch eher ans Kottbusser Tor und in die Oranienstraße ziehen als nach Steglitz.
Was wollen Sie denn am Kotti kaufen was sie woanders nicht bekommen? Rossmann, Norma, Kaisers, 99Cent Läden, Spielhallen, Fladenbrot und Döner…. gibt auch woanders. Ohne Drogen- und Alkoholabhängige Problempersonen in der Nähe.
Ausgehen? Die besten Tage des SO36 sind auch schon lange vorüber.
Dann schon lieber ein kleines Stück weiter. Sage Club, Tresor, Weekendclub… Alles bessere/sicherere/saubere Orte als rund um den Kotti.
Ich sehe die Probleme dieser Stadt eher in der multikulturellen Bereicherung liegen, denn bei “Drogen- und Alkoholabhängige Problempersonen”.
Es ging nicht um meinen Geschmack, sondern um die Attraktivität des näheren Umfeldes des Kottbusser Tors für auswärtige Besucher. Und die schauen eher bei Lonely Planet nach, denke ich, als irgendwelche Apps oder Polizeistatistiken zurate zu ziehen: Zum Ausgehen wird das Möbel Olfe empfohlen, auch manche Läden in der Oranienstraße sind brechend voll.
ah ja!
“Eine Frau mit Rollkoffer steigt am Alexanderplatz in die U8. Unsicher studiert sie den Fahrplan über der Tür …”
Frage: Seit wann hängen denn in der U-Bahn über der Tür Fahrpläne?
Oder: Was ist ein Fahrplan?
Sicher, das war ein Fehlerchen,
aber war das jetzt richtig wichtig zu berichtigen?
Hallo Experte,
sowas gibt es es heißt aber nicht Fahrplan sondern Netzplan (Fachsprache Spinnennetz)
und es sind alle Bahnen drauf gezeichnet direkt auf der decke geklebt .
Natürlich studierte die Frau den “Netzplan” über der Tür, das war klar – nicht einen Fahrplan …
Den Begriff Spinnennetz gibt es im Verkehr nicht – und schon gar nicht fachsprachlich. Umgangssprachlich bezeichnet man den Netzplan auch als Netzspinne.
Mit einem Spinnennetz dagegen fangen Spinnen ihre Beute …
Ja. Wenn ich solche “Fehlerchen” sehe, lese ich meistens gar nicht mehr weiter. Der Autor sollte schon wissen, was man da so zusammenschreibt.
Thematisch ist der Artikel interessant. Das Idi-Phone und einige Portable Applications werden den natürlichen Menschenverstand schon ausschalten – statt sich selbst zu überzeugen. Ist stylisch … und so schön Massenkonform.
eine Weiterentwicklung für Kreuzberg und kreuzberg spezifische Infos
http://grossbeeerenstrasse.blogspot.com/2010/03/ein-kreuzbergo-meter-als-phone-app.html
Assi = Abkürzung für Assistent
Asi = Abkürzung für Asoziale(r)
warn die mal in Frankfuert unterwegs und überhaupt da wird nur wieder angezeigt aber gemacht wird dagegen nichts