Gehen Sie da mal runter, dahinter sieht’s aus wie im Zuchthaus!”, sagte er und zeigte auf eine modrige Treppe. Mein Hausmeister hatte Recht, dieser kleine nur über einen Keller erreichbare Hof in Friedrichshain war wirklich grauenvoll: Es kam mir vor als sei ich in den lichtlosen Schlund eines tiefen Brunnens gefallen. Ob dieser kleine hagere Hausmeister mit den dunklen Augenhöhlen diesen Zuchthaus-Vergleich aus eigener Anschauung gezogen hatte, also schon selbst ein paar Jahre lang auf 20 Quadratmetern im Kreis gegangen war? Jedenfalls war ich froh, dieser beklemmenden Atmosphäre zu entkommen.
Warum sollte ich also über Hinterhöfe schreiben? Über von Hausmüll vergoren riechende Luft, über Haufen von Fahrradleichen, durch die sich verstohlen eine Katze schlängelt. Oder über durchsanierte Plätze, die – fügsame Bewohner vorausgesetzt – über Jahre so akkurat jeder Spur von Leben trotzten, als seien die Architekten erst gestern am Werk gewesen. Wozu also Worte verlieren über diese Orte der Langeweile? Über den Schmutz, und Gestank, den Verfall?
Trotzdem, an solchen Orten habe ich die besten Teile meiner Wohnungseinrichtung gefunden. Die Staffelei, das Regal oder den alten Lehnstuhl, der zugegeben, lange ziemlich modrig gerochen hat. Einmal kam ein Freund mit einem Fernseher an, der unten wochenlang im Regen gestanden hatte. Es zischte und stank, als er das Ding einsteckte, aber nach ein paar Tagen war tatsächlich ein Bild da.
Hin und wieder habe ich zu meiner Freude Dinge bei Nachbarn wiedergefunden, die ich im Hof “zwischengelagert” hatte. Höfe funktionieren manchmal wie Umsonstläden und solange niemand abgeschlossene Fahrräder knackt oder dort klammheimlich alte Futons entsorgt, blüht der Kieztausch. Und der kennt außer der um Ordnung besorgten Hausverwaltung nur Gewinner.
Lebensraum Hof ist verschwunden
Früher muss die Welt der großstädtischen Höfe übrigens mal ganz anders ausgesehen haben. Das fällt mir bei Filmen aus den 20er Jahren ein, “der letzte Mann” von Friedrich Wilhelm Murnau (1924) oder etwa Fritz Langs “M” (1931). Der alternde Hotelportier im “letzten Mann” schreitet auf dem Heimweg in seiner stolzen Uniform durch mehrere Hinterhöfe, die alle jeweils wie ein eigener Kosmos wirken. Es gibt dort spielende Kinder, kleine Geschäfte und immer wieder Menschen, denen man jeden Tag begegnet.
Heute sind die meisten dieser Blöcke längst entkernt, begrünt oder abgerissen. Einige davon lassen sich noch entdecken, wenn man in Prenzlauer Berg auf Verdacht an einer Haustür ruckelt. Aber die Lebenswelt Hof ist verschwunden. Heute haben wir zum Einkaufen Lidl und Co, die Kinder einen Spielplatz und die lebenslustige Großstadtbagage lässt sich lieber in Cafés blicken. Nur in der DDR hatten einige Traditionen der “alten Zeit” länger überlebt. So etwa das Hoffest mit den Nachbarn, das es hin und wieder auch heute noch gibt. Also, runter vom Reißbrett und “Take on me”, Hinterhof! Es lebe die Anarchie vor meinem Treppenhaus!
Fotostrecke: Berliner Hinterhöfe
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