Das erweiterte Netzwerk

Ich hatte gerade Besuch. Eine Bekannte aus meinem erweiterten Netzwerk. Leute aus dem erweiterten Netzwerk treffe ich nur alle Jubeljahre, wobei man sich dieses nicht als zusammenhängende Gruppe vorstellen muss, sondern als Pool aus lauter Einzelpersonen, die nichts miteinander zu tun haben müssen. Das erweiterte Netzwerk ist insofern interessant, als es Informationen liefert, an die ich sonst nicht im Traum gedacht hätte. Es beruht auf Gegenseitigkeit, das ist wichtig. Erzähl’ mir die letzten eineinhalb Jahre in zwei Stunden, die aktuelle Situation und gelange zu einer Einschätzung, die Langzeitbeobachter so gar nicht hätten geben können. Wertvoll das.

Meine Netzwerkfreundin von heute hat mit mir Soziologie studiert. Ihre Eltern kamen aus der Türkei. Irgendwann, vor vielen Jahren. Ich hatte eigentlich wegen eines Blogbeitrags über das türkische Berlin angefragt, aber sie sei da nicht die Richtige, hatte es schon in der E-Mail geheißen.

Die türkische Gemeinschaft in Berlin ist diverser, als man gemeinhin annehmen könnte. Keine homogene Gruppe, im Gegenteil. Viele unterschiedliche Strömungen und Weltanschauungen, die nicht einfach zu fassen seien, meinte S. dann beim Kaffee. Ein Rechercheaufwand, der ihr gerade zu groß sei. Nur soviel dazu: während eines Interviewerjobs sei ihr dies selbst klar geworden, als sie türkische Professoren, Hausfrauen und Selbstständige befragen musste. Die Parameter verlaufen entlang der religiösen Strömungen der Sunniten und Alleviten, aber überlappend dazu zwischen konservativer und liberaler Gesinnten. Kopftuchträgerinnen sind nicht gleich Kopftuchträgerinnen. Allein schon die Art, wie das Kopftuch gewickelt ist, deutet auf eine bestimmte Einstellung hin. Kaum möglich für Außenstehende, dort den Überblick zu behalten.Sie selbst trägt kein Kopftuch und ist als jüngstes von sieben Kindern recht liberal erzogen worden. Der Mutter sei am wichtigsten, dass sie unabhängig ist und als Frau mit einer guten Ausbildung für sich selbst sorgen kann. Und gesund ist. Mit 31 unverheiratet und mit einem Freund lebend, sei kein Problem.

Als Soziologie-Studentin bekommt man ohnehin noch einmal eine andere Perspektive auf die Dinge, auch auf das eigene Umfeld. “Wie funktionieren Netzwerke, welche informellen Strukturen gibt es, die das Zusammenleben prägen?” All dies sollte ich mir vor Augen führen. Dunkel erinnerte ich mich an ein gemeinsam besuchtes Seminar zum Thema Netzwerkanalyse. Ich beschloss, die Chance zu ergreifen, die Kontaktperson anzuschreiben, die sie mir genannt hatte. Einen Kommilitonen, der offenbar ebenfalls einen türkischen Migrationshintergrund hat und substantiell zu unserem Projekt beitragen kann.

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