Jedesmal, wenn ich mir auf dem Bau gewünscht habe, woanders zu sein, wurde jemand laut: “Haste wieder geträumt, Hiwi, dafür biste nicht hier”, schrie der Polier. Die “innere Emigration” hat mich als Hilfskraft auf Baustellen dem Feierabend nicht näher gebracht. Allzu schnell war der Kranführer vom Dixi-Klo zurück und manövrierte den nächsten Stahlträger heran.
Ich muss auch ein paar Zeilen über Simon verlieren, den arbeitslosen Philosophen und Fensterschlepper, wenige Worte über Markus, der Geschichte studierte und dann am Wittenbergplatz Currywürste drehte. Und natürlich muss ich von mir erzählen, dem Penner vom Bau.
Wir alle haben Aushilfsjobs gehabt, haben sie noch, oder bald wieder. Wie Simon, der nach der Arbeit mit krummen Rücken im Bett liegt und Adornos Minima Moralia lesen will. Aber der Text verschwimmt vor seinen Augen, und plötzlich kann er all jene Menschen verstehen, die abends vor der Glotze hängen und blinkende Farbmuster anschauen.
Wenn die Arbeit getan ist, bekommt man eine Unterschrift und ist frei. Frei bis zum nächsten Gang zur Arbeitsvermittlung, frei bis zu dem Moment, in dem eine neue Nummer aus dem Automaten im Jobcenter fällt. In meinem Fall war diese Arbeitsvermittlung zumeist eine studentische, die inzwischen aufgelöste Tusma (“Telefoniere und Studenten machen alles”) oder die Heinzelmännchen der Freien Universität.
In Steglitz bei Maiers den Weihnachtsmann spielen
Bei der Tusma wurden noch vor sechs Uhr Nummern ausgeteilt, um die sich eine ganze Horde Studenten kloppte. Auch im Winter warteten schon müde und frierende Arbeitswillige im Dunkeln. Alle zwei Stunden wurde eine Liste mit neuen Jobs verlesen. Bei Angeboten ohne harten körperlichen Einsatz ließ man Frauen den Vortritt. Das war fair, denn gesucht wurden fast nur Leute zum “Anpacken”.
Ohne Nummern liefen Großaktionen wie die der Weihnachtsmänner und Engel. Für diese Auftritte in Berliner Familien am Heiligen Abend müssen Studierende eigens eine Schulung mitmachen – inklusive eines Foto-Termins mit der Lokalpresse. Dort traf ich auch Weihnachtsmann Henry wieder, einen über 40-Jährigen, für den ich schon Parkettböden abgeschliffen hatte.
Im Tiergarten Kondome aufsammeln
Dabei sind längst nicht alle Job-Angebote schlecht. Im Gegenteil. Es war befreiend, ganz oben auf dem Internationalen Handelszentrum in Mitte über die Stadt zu schauen, oder an einem Gerüst hangelnd Schöneberger Altbauten zu sanieren. Wer mit einer Hilti Wände einreißt, sieht das Ergebnis seiner Arbeit sofort. Dabei ging mir auch auf, wie viele Studierende aus ärmeren Ländern ihren Lebensunterhalt in Berlin selbst verdienen müssen. Als Deutscher sei ich fast ein Exot, erklärte mir ein Arbeitgeber, der regelmäßig Studenten rekrutierte. Ein seltenes Exemplar unter Afrikanern, Ost-Europäern und Asiaten.
Diese Jobs mögen über schwierige Zeiten retten, oder “Wallraff-artige” Einblicke liefern – solange sie nicht auf Dauer sind. Wie etwa mein Job nach einer Loveparade, bei dem ich für ein Reinigungsunternehmen mit einer Mülltüte durch den Tiergarten zog. Irgendwo unter den Bäumen lagen auf wenigen Metern verteilt ein Dutzend benutzter Kondome herum… aber mein Geld habe ich bekommen, und auch das ist leider nicht selbstverständlich. Wenn man für die wenigen Euro auch noch klagen muss, wird aus dem kurzen Job eine lange Geschichte. Eine richtig lausige Geschichte.
Nächtelang Currywürste gedreht? Zeitungsabos angepriesen? Geschichten unserer Leser
Fotos: Christian Hetey
kommt mir bekannt vor, was du da schreibst. hab mal in einer tennishalle gejobbt und musste da immer “käsewürfelschen mit jürkschen” servieren an so karnavalsfritzige frohnaturen. “fräuleinschen, sie sehen heute so moppelig aus, sie sind doch nicht schwanger” und solche sprüche musste ich mir ständig anhören. ätzend aber wie auch immer: man wird schlagfertig..
Der title dieser geschichte sagt alles: berlin die stadt der jobbenden studis. ich habe erst in heidelberg studiert, da haben alle geld von mama und papa bekommen oder bafög. in berlin kenne ich niemanden, der nicht jobbt. aber im tiergarten kondome aufzusammeln, davor sind sich die meisten wohl doch fies.
Wie elitär ist denn das bitte?
“Diese Jobs mögen über schwierige Zeiten retten, oder “Wallraff-artige” Einblicke liefern – solange sie nicht auf Dauer sind.”
Die meisten Leute in dieser Stadt machen ihr Leben lang solche Jobs, zahlen davon Steuern und ziehen nebenbei Kinder groß. Sehe nicht ein, warum das Studenten schaden sollte.
Berlin ist voll von Arbeitslosen, von denen viele einfach nicht arbeiten wollen. Sie zieren sich mit “ach dieser job passt mir aber garnicht” und ähnlichen Ausreden. Seit doch nicht so furchtbar bequem! Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an!
Ein Job auf dem Bau ist zwar hart für Leute, die es nicht gewohnt sind zu arbeiten, aber man kann denke ich trotzdem eine ganze Menge lernen. Nicht nur, wie man arbeitet.
take it real – jeder muss im laufe seines lebens mal blöde jobs annehmen. deshalb ist ja auch die rede von “jobs” und nicht von “stellen”. und selbst die sind meist befristet. eine geruhsame nacht und allen anderen viel erfolg bei der nachtarbeit.
Ein super und immer zukunftssicherer Job ist übrigens das Reinigen von Straßenbahngleisen und Haltestellen. Das habe ich mal von einiger Zeit ca. 1 Jahr gemacht. Damals gabs von viele Getränkedosen die überall lagen und an Haltestellen in der Nähe von Discotheken war richtig was zu tun.
Die mitleidigen Blicke der Leute sind auch eine tolle Erfahrung.