Wir stolperten durch menschenleere Straßen des nächtlichen Friedrichshains, als auf einmal ein Hund vor uns stand. Sein Name war Paul, zumindest hörte er so, wenn man sagte: Halt Paul, hier ist die Straße oder Platz, Paul! In jener kalten Novembernacht war er jedoch nur ein namen- und herrenloser Mischling, der schwanzwedelnd Nähe suchte.
“Hau ab!”, fuhr ihn mein Begleiter Ralf an, “ich habe schon zwei Hunde und kann kaum das Fressen für einen bezahlen.” Er war wohl etwas betrunken. Paul blieb stehen und schaute uns nach, doch zwei Ecken weiter war er wieder da. Ralf hat ihn dann doch mitgenommen, obwohl er sich wahrscheinlich am nächsten Tag kräftig geärgert hat.
Diese Augen: Nimm mich mit, ich will Dein Freund sein!
Ralf war es auch, der ihn dann Paul nannte. Ich habe die beiden noch einige Male getroffen, irgendwann aber aus den Augen verloren. Einmal machte ich den Fehler, Paul über den Kopf zu streicheln – mit dem Ergebnis, dass er mir nicht mehr von der Seite weichen wollte. Und dann diese Augen: Nimm mich mit, ich will Dein Freund sein…
Das war vor Jahren und inzwischen frage ich mich, wie Pauls Biographie wohl verlaufen sein mag. Ich kann nur mutmaßen: Geboren als zweites von drei Welpen in der Ecke einer Punkerbude, Vater unbekannt. Von Mutter und zwei Brüdern getrennt nach vier Wochen. Aufgewachsen bei einem Menschen, von dem er mit knurrenden Magen weg lief. In Obhut von wechselnden Besitzern. Mit 25 Hundejahren gestorben in einem Tierheim am Rande der Stadt.
Wir machen diese Welt oft zu einem erbärmlichen Platz
Einmal bin ich an einem solchen Ort ausgestiegen und habe mir das Heim angeschaut. Die Pfleger schienen engagiert und kümmerten sich um die Tiere, so gut es ging. Besucher suchten einen Hund, einen Kampfhund allerdings. Nebenan war ein Tierfriedhof. Vielleicht liegt Paul hier, an einem Maisfeld, wo die Windräder pfeifen.
Die Geschichte von Paul ist mir haften geblieben, weil ich ihm nicht geholfen habe, ihn nicht aufnehmen wollte. Erzählen wollte ich sie, weil die Berliner Diskussion um Hundehaufen immer wieder hysterische Züge annimmt. Ja, Hundehaufen auf Bürgersteigen und an den Schuhsolen sind widerlich, aber das Problem ist am anderen Ende der Leine.
Wir machen diese Welt oft zu einem erbärmlichen Platz für Wesen, die leiden wie wir.
Fotostrecke: Berliner Seitenblicke
Foto: Christian Hetey
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