Oma Kardelke richtet sich an ihrem Gehwagen auf und blickt ungläubig die Straße hinab: “Endlich, die Vopos sind wieder da! Jungs, wo seit ihr denn gewesen, all die Jahre? Warum steht das nicht in der B.Z.?”
Die drei Beamten flanieren gemächlich an dem Altersheim in der Liebigstraße in Friedrichshain vorbei. Senioren, denen nicht viel mehr geblieben ist, als die Erinnerungen an die “gute” Vorwendezeit, sind ihnen schnurz.
Es wird gedreht, wie so oft in Berlin, und die halbe Straße ist mit Caravans zugeparkt: Die Kabelroller rollen, die Lampenhalter rauchen, die Statisten stehen dumm herum und der Cateringservice schenkt Kaffee aus. “Ist nichts hier mit wild Campen”, meckert ein kiezbekannter Querulant. Die Mädels von der Maske kümmern sich nicht drum.
Das Set ist ein paar hundert Meter weiter in einem Hof. Dort entsteht eine Doku über den Mauerfall, die auf Sat1 ausgestrahlt werden soll. Bis Anfang November ist also noch Zeit, wenn das Ding in diesem Jahr abgeschlossen wird. Ich wäre selbst fast in dieses Haus eingezogen und kann bestätigen, dass die Medienleute dort einen exzellent ostigen Fleck gefunden haben, der vielleicht ein bisschen wie Bitterfeld vor der Wende aussieht.
Es gibt da Fassaden mit nur einem einzigen Fenster, nebenan befindet sich eine verrottete Fabrik und in angrenzenden Plattenbauten leben Mieter, die beim Umzug ihre MuFuTis (Multifunktionstische) aus VEB-Produktion auf die Straße räumen. Es passt also, nur eine Mauer gibt es nicht. Jedenfalls keine, an der Grenzbeamte auf Flüchtlinge schießen könnten oder Besucher aus dem Westen argwöhnisch durch Kontrollen lotsen.
Bleibt mir nichts anderes übrig, als das Lied der Volkspolizei anzustimmen, extra für die enttäuschte Oma Kardelke und all ihre Nachbarn im Altersheim:
Wir dienen der Arbeiterklasse,
Dem Volk, das so fleißig sich müht,
Daß endlich für immer die Erde
Vom Unheil befreit voll erblüht.
In Straßen und Betrieben,
Auf Schienen und am Kai,
Beseelt vom Friedenswillen,
Geführt von der Partei.
Beauftragt, das Leben zu schützen,
Für Recht und Gesetz da zu sein,
Stehen wir jederzeit für die Heimat,
Für Ordnung und Sicherheit ein.
In Straßen . . . .
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