Tag Archiv für 'wrangelkiez'

McDonald’s eröffnet - Na und?

“Mann, wann machen die endlich auf - gleich ist die große Pause vorbei!” Die Eröffnung der Kreuzberger McDonald’s Filiale interessierte allenfalls die Schüler des benachbarten Oberstufenzentrums. Umsonst waren sie angereist, die Leute vom RBB, die Fotografen. Keine Blockaden, keine Farbbeutel-Attacken. “Nicht mal Transparente sind entrollt worden”, sagte ein bärtiger Mensch zu einem Kollegen und packte seine Kamera weg.

Derweil rätselten Schüler, ob McDonald’s eine Franchise-Kette sei oder nicht. Und ob es sich auszahle, in Kreuzberg so ein Schnellrestaurant zu eröffnen. “Ey, die machen hier bestimmt voll das Geschäft.” Die Pommesbude in unmittelbarer Nachbarschaft wird das zu spüren kriegen, sicher. Aber ob die erklärten McDonald’s Gegner wirklich traurig sein dürften, wenn dem Besitzer dieses Imbisses die Kunden weglaufen? Falls er überhaupt welche hat?

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Dicke Kreuzberger lechzen nach McDonald’s

Protest-Plakat gegen McDonald's in Kreuzberg - Foto: Anne Grieger

Wann kommt er endlich, der Kreuzberger McDonald’s? Als ich heute morgen am Görlitzer Park an diesem Plakat vorbeiradelte, traute ich meinen Augen kaum: Meinten die mit diesem Plakat wirklich Leute wie mich?

Zugegeben: Ich habe McDonald’s betreten, früher mal. Es gab Freunde, die gerne einen Milchshake tranken und wirklich nicht wie Filmschauspieler aussahen. Natürlich waren sie keine Kreuzberger, als richtiger Kreuzberger kann man nur mit Sonnenbrille getarnt in solche Burgerschuppen gehen. Oder in der Wiener Straße vegetarische Burger essen, die wirklich gut schmecken.

Für Wahlkreuzberger, die sich gegen die Eröffnung eines McDonald’s im Wrangelkiez stark machen, dürfte die Burger-Braterei mit dem gelben M wohl keine Bedrohung darstellen. Ungesunde Essgewohnheiten seien vor allem ein Problem der sozial Benachteiligten, so der Historiker und Publizist Paul Nolte. Gerade Kindern würde einiges zugemutet durch die “Dauerernährung in Schnellrestaurants”. Nolte, Mitauslöser der umstrittenen “Unterschichten-Debatte”, macht weniger große Konzerne als die Eltern selbst für diese Entwicklung verantwortlich. Ernährung als Bildungsthema also.

Doch sieht man einmal ab von der Tatsache, dass bestimmte (ohnehin benachteiligte) Gruppen angesichts der Eröffnungs-Angebote der Fastfood-Kette schwach werden könnten: Wie wird sich Kreuzberg, die letzte McDonald’s freie Zone verändern? Was, wenn sich der Burger-Konzern etabliert haben sollte? Werden andere Hackbräter und Hühnerfrittierer nachziehen? Argentinische Steakhouse-Ketten neben Döner-Schuppen? Ich weiß nicht.

Einwürfe aus der Provinz: Kennen Sie Kiez?

Foto: Christian HeteyIch habe ein paar Jahre in Hamburg gelebt. Da gibt es den Kiez. Das ist die Reeperbahn und alles, was sich im direkten Umfeld befindet. Eine Sammlung fragwürdiger Kaschemmen, abgerockter Touristenfallen, aggressiv-stupider Atmosphäre und dem unvermeidlichen Hamburger Berg. Dort sind viele tolle Kneipen, in denen man als Gast die Wahl hat zwischen kickern mit Soulmusik, Tischfußball und Funk oder Tippkick mit dem Best Of aus Funk und Soul. Dazu säuft man hanseatisches Billigbier, ein widerliches Gebräu, das einem regelmäßig die ganz private After Hour am nächsten Tag zünftig versüßt. Das Ganze ist also nur interessant für die Praktikanten der Werbeagenturen, Designstudenten oder ähnlich erlebnisorientierte Hools & Vaddis aus Uelzen und Co. Der Begriff Kiez bekommt hier seine Füllung: irgendwie vorhanden, eher eklig und nach Möglichkeit meiden.

Ganz anders sieht es in Berlin aus: als ich das letzte Mal die behütete Umgebung der Provinz mit einem Berlinbesuch getauscht habe, da war auf einmal alles Kiez. Wrangel-, Reuter-, Tralalakiez. Kiez as Kiez can. In Kiez A waren wir auf einer stinklangweilig-ordinären Ich-AG-Hobbykunsthandwerkveranstaltung für die Jüngeren im Lido, in Kiez B auf dem netten Schiff mit dem bescheuerten Namen und in Kiez C auf einer unglaublich hippen Party ohne größere Höhepunkte und DJ Mottenkugel. Nun fühlte sich das aber alles ähnlich bemüht bis substanzlos an, nett eben. Sah auch alles recht ähnlich aus. Trotz unterschiedlicher Kieze.

Und wenn ich es richtig verstanden habe, dann bezeichnet Kiez ein von bestimmten Straßen oder besonderen Orten eingefaßtes Berliner Areal. Den Namen dieser Region kann man dann schön auf Flyer malen oder sonstwie identitätsstiftend verwenden? Ist das der Keim eines neuen Lokalpatriotismus? Geht man nicht aus Sindelfingen und Wilhelmshaven nach Berlin, um die Enge und Begrenztheit der Provinz hinter sich zu lassen in der Weltstadt? Gibt es Kiezophrenie? Kann man kietzelig sein? Wer erklärt mir diesen Begriff und den darin für mich als Provinz-Westler offensichtlich verborgenen way-of-life?

Bedankt.

Mario Filsinger
Der Fragesteller lebt und arbeitet als Medienproletarier in der tiefsten Provinz.
Foto: Christian Hetey


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