An jeder Ecke Berlins tut sich bei näherem Hinsehen irgendein sozialer Konflikt auf. Meistens unter der Oberfläche, hin und wieder auch offen – aber zumindest wirft kaum jemand “Mollis und Steine” oder errichtet Barrikaden. Besonders in Friedrichshain lässt sich heute eine mildere Form des Straßenkampfes beobachten: Mit Farbe gefüllte Glühbirnen, Christbaumkugeln oder Wasserbomben werden über Nacht an frisch renovierte Fassaden geworfen und hinterlassen bunt gescheckte Wände.
Anwohner kennen dieses Bild und gehen desinteressiert weiter, doch Bewohner aus den Westbezirken und Berlin-Besucher bleiben erstaunt stehen. Was geht hier vor, wer wirft diese Farbbomben? Ich habe oft entgegnet, das sei als eine Art Angriff auf Schönheit zu werten. Es heißt soviel wie: “Wir haben keinen Bock auf Eure Französischen Fenster, Eure Parkettböden, Eure einfarbigen Oberflächen. Stuck ist Schnickschnack und treibt die Mieten in die Höhe.” So erhält jedes frisch sanierte Haus im Kiez eine Art “Willkommensgruß”.
Studenten nicken auf diese Antwort meistens abgeklärt, doch ein Pärchen auf Wohnungssuche reagierte neulich sehr reserviert. In ein solches Umfeld wollten sie nicht ziehen, das war klar. Ich möchte allerdings nicht unerwähnt lassen, dass es auch andere Erklärungen gibt: Einem Berliner Immobilien-Makler zufolge zielen die Farbeier-Werfer nicht auf Wände, sondern auf die Fenster jener Mieter, die wegen Lärmbelästigung die Polizei alarmieren.
Übrigens sind auch Politiker nicht vor solchen Angriffen gefeit: Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky wurde vor kurzem Opfer eines “Kommandos Otto Suhr”. Er sah sich gezwungen, bis um vier Uhr morgens Farbe von den Wänden seines Privathauses abzuwaschen.
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