Tag Archiv für 'potsdam'

So werden wir Elite: Nachhilfe in Sachen Benimm

“Damen und Herren, wenn Sie mich in einer E-Mail mit ‘Hallo Frau Z.’ anreden, erhalten Sie keine Antwort.” Aber Hallo. Wir befinden uns nicht in einem Benimm-Kurs, sondern in einer Einführungsveranstaltung an der Uni Potsdam. Es kommt noch schlimmer: “Ich schätze Preußische Tugenden”, sagt die kleine Frau hinter dem Pult streng, und blickt in 70 entgeisterte Gesichter. “Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, gepflegte Umgangsformen.”

Es folgen Ausführungen über einen angemessenen Dresscode, die schriftliche Abmeldung bei unentschuldigtem Fehlen, über den Umgang mit Kommilitonen. “Sie glauben selbst nicht, dass jemand, der an einer privaten Universitiät BWL studiert, auf die Idee käme, während des Seminars zu essen. Das erwarte ich auch von Ihnen als angehende Akademiker.”

Kollektive Verunsicherung

Studierende lassen sich immer mehr gefallen, beklagen Studentenvertreter. Sie wollen gesagt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben. Und für ihre Folgsamkeit und Fleißarbeit mit guten Noten belohnt werden. Nach rechts und links gucken ist nicht mehr, der volle Stundenplan lässt den Besuch fachfremder Veranstaltungen kaum zu. “Die Universitäten produzieren nur noch lauter Fachidioten”, sagt eine Bekannte, die in der Personalabteilung einer Unternehmensberatung arbeitet. Die Bewerbungsmappen von Bachelor-Studenten, die bei ihr eingehen - alle zum Verwechseln ähnlich.

Die allgemeine Verunsicherung scheint schwer zu wiegen. Auch darüber, wie man über die verschulte Universität hinaus im gesellschaftlichen Leben alles “richtig” macht. Im Internet findet man zahlreiche Benimm-Seminare und Berichte darüber, dass Teenager zunehmendes Interesse an Tanzkursen haben. “Für die Karriere.”

Dann lieber keine Karriere.

Potsdam, du Schöne

Foto: Anne Grieger

Freitag ist der Tag der Süddeutschen - wegen des Magazins. Heute ein Glücksgriff, die Seite Drei der Zeitung ist Potsdam gewidmet. Ich bin selbst auf dem Weg nach Potsdam. Artikel über Orte, an denen ich mich aufhalte, lese ich gern. Potsdam sei die am meisten boomende Stadt der Republik, inzwischen für viele attraktiver als Hamburg. Vor wenigen Jahren noch als Stadt der Depressiven abgeschrieben, als Stadt der früheren DDR-Bonzen, habe Potsdam mittlerweile eine Entwicklung durchgemacht, die ohne Beispiel sei. Eine der wenigen ostdeutschen Städte, die nicht schrumpft, sondern kontinuierlich (wohlhabende) Neubürger hinzu gewinnt und eine Akademikerquote von rund 18 Prozent aufweist. Namen wie Günther Jauch, Wolfgang Joop und Nadja Uhl werden seit längerem mit Potsdam in Verbindung gebracht, weitere Promis folgten und kauften leerstehende Villen rund um die Seen.

Am Bahnhof Charlottenhof steige ich mit lauter Touristen aus. Auch sie wirken verloren, wollen offenbar in Richtung Neues Palais und sind zu früh ausgestiegen. Gegenüber des Neuen Palais befindet sich die Universität, ein Gebäudekomplex, der einladend wirkt. “Die absolute Traumstadt zum Studieren”, meinte mal eine Bekannte, die aus Süddeutschland kam, und sich bewusst gegen Berlin entschieden hat. “Die neue Spießerstadt des Ostens”, meinte ein anderer Kumpel, ein Potsdamer, dem “snobistische Wessis” suspekt sind, und der sich als Chronist des Wandels gebärdet. Auch Potsdam polarisiert offenbar.

Ich komme selbst immer nur als Touristin nach Potsdam - mit meinem Berliner Semester-Ticket ging das bis vor kurzem umsonst. Ein paar Stunden in Potsdam lassen die Hässlichkeit meiner Wahlheimat Neukölln jedes Mal stärker zutage treten, als mir lieb ist. Zurück am Hermannplatz will jemand mein Bahnticket haben, Zigaretten, die ich nicht besitze, und zwei kleine Roma-Mädchen lassen mir keine Ruhe. Potsdam, das kleine Paradies im Osten, liegt nur gute 30 Kilometer weit entfernt.


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Berliner Streetart

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Palast der Republik

Berlin bei Nacht

Berlin bei Nacht

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