Tag Archiv für 'plattenbau'

Hinter Friedrichshain. Do widzenia, Lichtenberg!

Alt-Friedrichsfelde

Alle wollen Texte über Berlins Ostbezirke, aber kaum jemand opfert ernsthaft einen Tag, um die Schlafstädte aus DDR-Zeiten selbst zu erkunden. Schade eigentlich. Schaurig schön Lichtenberg mit seinen “Neubausiedlungen” (Platten, die ab Anfang der 70er Jahre entstanden, und weitgehend saniert wurden), den vielspurigen Straßen und dem großen Bahnhof, an dem Fremde ungerne umsteigen. Der Reiz besteht vor allem darin, dass man kaum Touristen oder Berlin-Schwaben begegnet und auch keinen Rheinländern.

Folgt man der Frankfurter Allee von Friedrichshain Richtung Osten, gelangt man automatisch nach Alt-Friedrichsfelde. Die Straße, in der die Gebäude zig-geschossig in den Himmel ragen, hieß früher “Straße der Befreiung” und verbindet Berlin und Warschau wie eine Achse. Wer noch weiter ostwärts fährt, landet irgendwann in Moskau. Hier, wo niemand aus Restdeutschland freiwillig seine Zelte aufschlagen würde, in einer kleinen Nebenstraße, haben sich Arbeiter aus Polen niedergelassen.

Sie haben Wäscheleinen gespannt, Satellitenschüsseln montiert und polnisches Bier herangeschafft. Reichlich abgerockt wirkt das unsanierte Gebäude, auf der Rückseite wuchert das Unkraut von den Balkonen. Ob es sich hier aushalten lässt?

“In dem Haus war früher ein Kinderheim”, erzählt eine Freundin, die in der Nachbarschaft aufgewachsen ist. Kinder gibt es in dem Bezirk immer weniger, an Schulschließungen führt offenbar kein Weg vorbei. Von den neun Gymnasien 2003/2004 sind laut einer Publikation des Bezirkes im Jahr 2006 gerade mal sechs übrig geblieben, von neun Gesamtschulen 2003/2004 nur fünf. Im Jahr 1995 gab es doppelt so viele sechs- bis 18-Jährige wie heute.

Die polnischen Arbeiter - fernab von ihren Familien, von ihren eigenen Kindern irgendwo in Breslau oder Danzig. Bedeuteten die Plattenbausiedlungen, die im gesamten früheren Ostblock von Halle bis Stettin gleich aussahen, vielleicht ein Stück Heimat in der Fremde?

Wahrscheinlich sehen es die Leute eher pragmatisch und haben sich gar nicht erst um Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg bemüht. Die Mieten in Lichtenberg sind vergleichsweise moderat und aufgrund der vielen Hochaltrigen im Bezirk scheint es einen Bedarf an haushaltsnahen Dienstleistungen zu geben. Gleich gegenüber befindet sich übrigens ein Altenheim - vom gleichen Wohnungstyp wie das frühere Kinderheim - nur aufwendig saniert.

Das Ende eines Marzahner Plattenbaus

Plattenbau Abriss in Marzahn

Am Ende gleichen sich die Bilder - alles sieht aus, wie am Anfang: Auf der Wiese stapeln sich Platten und daneben wird gewerkelt. Wenn Arbeiter einen WBS 70 zerlegen, reißen sie Bauelemente komplett mit Fenstern und Gardinen heraus. Die liegen jetzt vor der Ruine in der Wuhlestraße und warten auf den Abtransport. Auf jeder Platte ist das Fertigungsdatum noch lesbar: 13. Mai 1983, 27. Juni 1983.

Damals lagerten diese Platten hier, um im Legoland des sozialistischen Wohnungsbaus zu 11-geschössigen Hochhäusern zusammengesetzt zu werden. Den Sozialismus vorantreiben: Erst wurde die S-Bahn gebaut, dann schoss der erste Satellit der Marzahner Großsiedlung in die Höhe.

Plattenbau Abriss in Marzahn

“Wir blicken voller Angst in eine ungewisse Zukunft.” Die Entscheidung zum Abriss kam besonders für ältere Bewohner überraschend, die vor mehr als zwei Jahrzehnten als erste hier einzogen. Ein Mieter wollte nicht freiwillig gehen und lebte bis kurz vor Beginn der Abrissarbeiten allein in einem Geisterhaus. Doch die meisten seiner ehemaligen Nachbarn haben sich mit der Situation längst arrangiert, wohnen in umliegenden Neubauten oder in sanierten Platten.

“Gut, dass der Klotz endlich wegkommt”, freut sich ein Anwohner. Die Senatsverwaltung macht unsanierte Platten wie diese für einen Leerstand von zwölf Prozent in den 1323 Wohnungen im Kiez um die Wuhlestraße verantwortlich.

Plattenbau Abriss in Marzahn

Platte mit Aussicht? Aus den Wänden, zwischen den sich das Leben hunderter Menschen abspielte, entsteht wieder Beton. Alles kommt zurück und wandelt nur seine Form im Arbeiterschließfach-Zyklus. Und die alte Form passte nicht mehr in unsere Zeit. Aber hat sie nicht einen kleinen städtebaulichen Moment lang hell geleuchtet, hat von Berlin bis Ulan Bator im ganzen Ostblock Menschen ein Zuhause gegeben.

Und nicht überall müssen alte Plattenbauten verschwinden. “Das sieht aus wie bei uns”, meinte eine Bekannte aus Moskau, als wir mit dem Auto aus dem Umland auf die Silhouette von Marzahn zu fuhren. Sie hat gelächelt. Wirklich.

Hellersdorf: Museumswohnung in der Platte “WBS 70″


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Berliner Streetart

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Berlin bei Nacht

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