Tag Archiv für 'arbeit'

Mein lausigster Hauptstadtjob

Henning, verloren auf dem Bau - Foto: Christian Hetey

Jedesmal, wenn ich mir auf dem Bau gewünscht habe, woanders zu sein, wurde jemand laut: “Haste wieder geträumt, Hiwi, dafür biste nicht hier”, schrie der Polier. Die “innere Emigration” hat mich als Hilfskraft auf Baustellen dem Feierabend nicht näher gebracht. Allzu schnell war der Kranführer vom Dixi-Klo zurück und manövrierte den nächsten Stahlträger heran.

Ich muss auch ein paar Zeilen über Simon verlieren, den arbeitslosen Philosophen und Fensterschlepper, wenige Worte über Markus, der Geschichte studierte und dann am Wittenbergplatz Currywürste drehte. Und natürlich muss ich von mir erzählen, dem Penner vom Bau.

Wir alle haben Aushilfsjobs gehabt, haben sie noch, oder bald wieder. Wie Simon, der nach der Arbeit mit krummen Rücken im Bett liegt und Adornos Minima Moralia lesen will. Aber der Text verschwimmt vor seinen Augen, und plötzlich kann er all jene Menschen verstehen, die abends vor der Glotze hängen und blinkende Farbmuster anschauen.

Wenn die Arbeit getan ist, bekommt man eine Unterschrift und ist frei. Frei bis zum nächsten Gang zur Arbeitsvermittlung, frei bis zu dem Moment, in dem eine neue Nummer aus dem Automaten im Jobcenter fällt. In meinem Fall war diese Arbeitsvermittlung zumeist eine studentische, die inzwischen aufgelöste Tusma (”Telefoniere und Studenten machen alles”) oder die Heinzelmännchen der Freien Universität.

In Steglitz bei Maiers den Weihnachtsmann spielen

Bei der Tusma wurden noch vor sechs Uhr Nummern ausgeteilt, um die sich eine ganze Horde Studenten kloppte. Auch im Winter warteten schon müde und frierende Arbeitswillige im Dunkeln. Alle zwei Stunden wurde eine Liste mit neuen Jobs verlesen. Bei Angeboten ohne harten körperlichen Einsatz ließ man Frauen den Vortritt. Das war fair, denn gesucht wurden fast nur Leute zum “Anpacken”.

Weihnachtsmänner der Tusma - Foto: Christian Hetey

Ohne Nummern liefen Großaktionen wie die der Weihnachtsmänner und Engel. Für diese Auftritte in Berliner Familien am Heiligen Abend müssen Studierende eigens eine Schulung mitmachen - inklusive eines Foto-Termins mit der Lokalpresse. Dort traf ich auch Weihnachtsmann Henry wieder, einen über 40-Jährigen, für den ich schon Parkettböden abgeschliffen hatte.

Im Tiergarten Kondome aufsammeln

Dabei sind längst nicht alle Job-Angebote schlecht. Im Gegenteil. Es war befreiend, ganz oben auf dem Internationalen Handelszentrum in Mitte über die Stadt zu schauen, oder an einem Gerüst hangelnd Schöneberger Altbauten zu sanieren. Wer mit einer Hilti Wände einreißt, sieht das Ergebnis seiner Arbeit sofort. Dabei ging mir auch auf, wie viele Studierende aus ärmeren Ländern ihren Lebensunterhalt in Berlin selbst verdienen müssen. Als Deutscher sei ich fast ein Exot, erklärte mir ein Arbeitgeber, der regelmäßig Studenten rekrutierte. Ein seltenes Exemplar unter Afrikanern, Ost-Europäern und Asiaten.

Diese Jobs mögen über schwierige Zeiten retten, oder “Wallraff-artige” Einblicke liefern - solange sie nicht auf Dauer sind. Wie etwa mein Job nach einer Loveparade, bei dem ich für ein Reinigungsunternehmen mit einer Mülltüte durch den Tiergarten zog. Irgendwo unter den Bäumen lagen auf wenigen Metern verteilt ein Dutzend benutzter Kondome herum… aber mein Geld habe ich bekommen, und auch das ist leider nicht selbstverständlich. Wenn man für die wenigen Euro auch noch klagen muss, wird aus dem kurzen Job eine lange Geschichte. Eine richtig lausige Geschichte.

Nächtelang Currywürste gedreht? Zeitungsabos angepriesen? Geschichten unserer Leser

Fotos: Christian Hetey

Jobs, Jobs, Jobs: Statt “hartzen” ins Ländle

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“Schön hier, aber waren Sie schon mal Baden-Württemberg?” Berlin sucht dieser Tage nach einem Slogan, der das Image der Stadt verbessern soll, aber einen Exportschlager wie diesen Spruch aus dem Musterländle habe ich noch nirgends gelesen.

“Bei uns herrscht Vollbeschäftigung”, erzählte Christine, die in der Nähe von Stuttgart als Lehrerin arbeitet. In dem kleinen Ort, in dem fast jeder ein “Stückle” (*) besitzt, und viele Bürger ehrenamtlich engagiert sind, gibt es mehr Stellen als Bewerber. “Ich kann verstehen, dass Leute nicht aus Berlin weg wollen, aber dort bleiben, um jeden Preis?”

Letzte Haltestelle: Berlin

Die Außenperspektive ist interessant, wenn auch wenig hilfreich. Wer zur Stellensuche nach Berlin gekommen ist, wird sich wohl kaum mit solchen Sprüchen fangen lassen. Wie ein Freund aus Greifswald, der an kleinen und guten Unis die “Orchideenfächer” Ethnologie und Skandinavistik studiert hat. Seine Zusatzqualifikationen füllen Aktenordner: Deutsch-Kurse an Goethe-Instituten in Schweden, ein Lektorenprogramm der Robert-Bosch-Stiftung in Russland, ein Kurzfilm, mehrere Fotografie-Ausstellungen. Nun promoviert er an der Humboldt-Universität - aus Verlegenheit, wie er ohne Umschweife eingesteht. Aber in Berlin zu leben, sei ihm nun mal “verdammt wichtig”. Auch wenn es nicht gerade erfüllend ist, 30 Stunden die Woche in einem Computer-Laden zu jobben. Hartz IV ist für den Absolventen keine Alternative. “Dafür habe ich nicht studiert.”

Das Job-Center trägt die Kosten für den Umzug von Hartz IV-Empfängern in eine andere Stadt, erfuhr kürzlich Nele, eine arbeitssuchende Erziehungswissenschaftlerin. Überrascht hat sie das nicht: “Ein Fall weniger für die Statistik, das rechnet sich sofort.” Vielleicht wird das eingesparte Geld künftig darauf verwendet, Arbeitslosengeld II-Empfängern Werbespots für Baden-Württemberg zu zeigen. Mit der zentralen Botschaft “Wir [im Ländle] können alles - außer Hochdeutsch, aber kommen Sie - Job garantiert.”

Koffer für Freiburg schon gepackt? So einfach ist es dann auch wieder nicht. In Baden-Württemberg warnt man vor “naiven Vorstellungen”: Jobgarantien für Akademiker gebe es nicht. Gesucht würden vor allem Maurer, Schlosser, Schweißer, Heizungsbau-Installateure, Schlosser, Baggerfahrer.

(*) kleiner Streifen Land

Foto: Oliver Toettger. Häuser mit Solarzellen in Freiburg-Vauban.

Stille Tage im Klischee | Freundlich im Sinkflug

Manche Wochenenden funktionieren wie eine lange Wellness-Kur. Man fühlt sich danach jung, bzw. meint, dass es in der Jugend so gewesen sein muß wie an diesen Tagen. Also lange und unverschämt schnell mit dem Leihwagen über Autobahnen fahren, irgendwo in Neufünfland im Gasthof zum großen, goldenen M einzukehren um dann die Band für einen 90 Minuten-Auftritt am Club abzusetzen. Am nächsten Tag wieder zurück und relativ tot in die Schlafstatt.

Das dazwischen war wieder einmal eines meiner typischen Berlin-Erlebnisse. Ein Club, den ich bisher nur aus dem de:bug-Dates-Newsletter (kurzgefasst: E-Mail-basierter Terminkalender von Berliner DJs für Berliner DJs) kannte und der sich als originäre Sperrmüllhalde entpuppte, aber dafür mit mächtigem Sound. Immerhin. Die Veranstalter nett und organisiert (eine angenehme Ausnahme) und fast ausschließlich Gäste aus der alten Heimat (nein, nicht Reutlingen). So war der Abend dann auch zu einer zivilen Zeit vorbei, was ich mit steigendem Alter und kurz vor der Grube immer häufiger begrüße. hier geht’s weiter mit ‘Stille Tage im Klischee | Freundlich im Sinkflug’



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