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Monatsarchiv für September 2009

Stiller Protest, so wie jeden Tag

Falun-Gong-Anhänger an der Jannowitzbrücke - Foto: Henning OnkenAngefangen hat es im Sommer 2001: Zwei Jahre nachdem die chinesische Botschaft in das Gebäude an der Jannowitzbrücke zog, versammeln sich Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong auf der Brücke. Sie hängen Transparente auf, verteilen Flyer und protestieren still gegen die Verfolgung in ihrem Heimatland. Mal sind es zwei oder drei, die ihre Arme in den Himmel strecken, mal reisen Unterstützer aus anderen Städten an. Nicht immer sieht man nur asiatische Gesichter, auch hierzulande solidarisieren sich Menschen mit der Bewegung. An Terminen wie der Eröffnung der Olympischen Spiele gesellen sich auch Tibet- und Menschenrechtsaktivisten dazu.

Ob die Angestellten der Botschaft von dem Treiben Notiz nehmen? Hinter den verspiegelten Scheiben wird heute der 60. Geburtstag der Volksrepublik gefeiert, sicherlich mit einer Fernsehübertragung der pompösen Militärparade in Peking. Sie werden trotzdem wieder da stehen, so wie fast jeden Tag seit neun Jahren.

Deine Stimme – ab in den Müll?

Aufruf zum Boykott der Bundestagswahlen in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg - Foto: Henning OnkenIn Berlins Plakate-Wald gedeihen in der letzten Woche vor der Bundestagswahl kleine Widerstandsnester. In Kreuzberg pappen Boykotteure Sticker an Mülleimer mit dem Hinweis, dort Wahlzettel zu entsorgen.  “Stimme erheben, statt abgeben” steht an einer Häuserwand in der Reichenberger Straße. Bei Info-Abenden in Friedrichshain sprechen sich die “klassisch-anarchistischen” Wahlverweigerer Mut zu und vertiefen sich in direkt-demokratischen Gedankenexperimente. Höhepunkt des Aktionismus ist eine Demo, bei der Nein-Sager am Vorabend der Wahl ihrem Unmut Luft machen wollen.

Es gibt viele Gründe, einen Bogen um den Polit-Grabbeltisch der Parteien und Kandidaten zu machen, den Wahl-O-Mat zu ignorieren: Ein Vater von zwei Kindern aus Prenzlauer Berg rechtfertigt seine lebenslange Enthaltung damit, dass Wählen verboten wäre, wenn es wirklich etwas bewirken würde. Ein Anhänger der Linken mit Irokesenschnitt ist wahlmüde, weil seine Friedrichshainer Direktkandidatin den Wählern ihr Hinterteil zeigt. Fans der Piratenpartei können nicht mit ansehen, wie ihre bräsigen Kandidaten der Jungen Freiheit Interviews geben. Und das Dreamteam Horst Schlämmer/Bushido tut nur so, als würde es was bewegen.

Aber aus Wahlmüdigkeit einen Wahlkampf gegen das Wählen zu starten – so etwas gibt es wohl nur in Friedrichshain und Kreuzberg. Schaut auf diese Stadt!

Rettet die Partys auf der Admiralbrücke

Straßenmusik auf der Admiralbrücke - Foto: Uli H.

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Gut, dass Polizeipräsidenten nicht zur Wahl stehen. Dieter Glietsch könnte dann nämlich einpacken: Von den Kreuzbergern würde er wohl keine einzige Stimme bekommen. Im Streit um die Admiralbrücke, Kreuzbergs größtem Open-Air-Club, mischt sich Berlins Polizeipräsident erst jetzt, Ende September, ein. Gemeinsam mit dem Bezirk und den Anwohnern wolle er für das nächste Jahr nach Lösungen suchen, die “dauerhaft tragen”.

Zur Erinnerung: Die Bewohner der angrenzenden Häuser schreiben der Verwaltung und Glietschs Behörde seit zwei Jahren böse Briefe, weil sie die abendlichen Partys auf der Brücke als Zumutung empfinden. Bei einem Treffen mit dem Bezirk im Juni waren einige Anwohner den Tränen nahe, weil sie sich von den Behörden allein gelassen fühlen und im Sommer nachts selbst bei geschlossenen Fenstern nicht schlafen können.

Auf der anderen Seite die Brückenfans, die sicherlich keine 100-Quadratmeter-Wohnungen mit Balkon und Kanalblick bewohnen, und die Admiralbrücke als Treffpunkt nutzen. Sie kommen aus aller Welt, machen Musik, feiern bis in die Morgenstunden und genießen es, ungezwungen mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Es ist ironisch, dass gerade im toleranten Kreuzberg Streitereien wie diese mit Hilfe der Polizei ausgefochten werden. Dass die Anwohner nach Dieter Glietsch rufen und die Brücke meiden, statt mit Brückennutzern zu diskutieren. Aber zugegeben: Wenn das Publikum oft wechselt, wundert es kaum, dass das Problembewusstsein der Brückenfans  nicht allzu ausgeprägt ist. Also muss Glietsch ran. Im nächsten Jahr. Mit einer Lösung, die “dauerhaft trägt”.

Fotos: Uli H., Flickr

Link: Weblog Admiralbrücke

Annette will in den Bundestag

Annette will in den Bundestag - Foto: Anne OnkenAnnette Köhn steht vor ihrem Atelier, der Musenstube, und malt mit Wasserfarben die letzten Plakate für die Bundestagswahl am 27. September aus: 150 hat die unabhängige Direktkandidatin aus dem Reuterkiez schon mit ihren Mitstreitern ausgemalt und aufgehängt -  alles Illustrationen von befreundeten Grafikern und Künstlern, die die 33-jährige Frau mit schwarzer Kastenbrille zeigen. “Erststimme Annette: Für MeinGeld – Bedingungsloses Grundeinkommen” steht auf einem, “Für Erhalt und Erschaffung kreativer Räume!” auf einem anderen.

“Ich konnte mir nicht vorstellen, mit meinem Foto hier überall im Kiez zu hängen”, sagt sie und deutet auf ein Portrait von Yusuf Bayrak, einem anderem parteilosen Neuköllner Direktkandidaten. Von Leuten auf der Straße erkannt zu werden – das wäre ihr doch nicht so recht.

Dabei dürfte die Freiberuflerin, die seit drei Jahren gemeinsam mit vier Mitstreiterinnen die Musenstube – eine Mischung aus Büro, Atelier und derzeit Wahlkampfzentrale – betreibt, im Kiez inzwischen bekannt sein. Immer wieder fanden Ausstellungen und Konzerte in der Musenstube statt, Annette hat mit Schülern der benachbarten Rütli-Schule einen Flyer zur Selbstdarstellung der Schule entworfen.

Wohl wegen ihrer Kiez-Prominenz könnte auch die Bergpartei auf Annette aufmerksam geworden sein: Sie hatte Annette einen Listenplatz in Neukölln angeboten – was diese zunächst entschieden abgelehnt hatte. Das Manifest der Partei von Berliner Kulturaktivisten überzeugte sie dann aber doch. Da die Bergartei nicht zur Bundeswahl zugelassen wurde, weil der Bundeswahlleiter Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Partei hatte, kandidiert Annette nun als eine von 23 unabhängigen Direktkandidatin in Berlin:   “Zu Ehren der Bergpartei”, wie sie in ihrem Weblog schreibt.

“Ich will mit meiner Kandidatur alle ansprechen”,  sagt Annette, “auch wenn die Kreativen natürlich meine Zielgruppe sind.”  In Neukölln, wo jeder vierte arbeitslos ist, könnte die Idee des unabhängigen Grundeinkommens einige Anhänger finden.  Sie selbst arbeite auch einen Teil ihrer Zeit unentgeltlich, erzählt Annette. Auch ihr Wahlkampf ist ein Low-Budget-Projekt, sie hat gerade einmal 250 Euro ausgegeben – die Arbeitszeit einmal nicht eingerechnet.

Der schönen Warenwelt der DDR

Ehemaliger Konsum in Friedrichshain - Foto: Henning OnkenSträucher wuchern vor dem ehemaligen Konsum in der Hübnerstraße. Bevor die DDR mit den meisten ihrer volkseigenen Produkte in die Welt der Anekdoten und Retro-Läden verschwand, roch es hier nach Pfandflaschen. In den Regalen lagen Schmalzfleischkonserven und “Böngers” genannte Karamellbonbons. Die Orangen-Limonade schmeckte wie vergorenes Fruchtwasser.

So habe ich als verwöhnter Wessi-Knabe einen Dorfkonsum in Mecklenburg-Vorpommern erlebt, zu dem mich meine Großtante bei einem DDR-Besuch schickte. Ich brachte ihr auch mehrere Graubrote mit, die sie vor den Augen der staunenden Besucher täglich an ihre Schweine verfütterte.

In Friedrichshain habe ich unter den umzugsfreudigen Anwohnern noch keinen getroffen, der hier vor 20 Jahren einkaufte. Heute versuchen sich in dem Gebäude gelegentlich Künstler als Galeristen. Für die Kaufgewohnheiten der jetzigen Friedrichshainer taugt die Ladenzeile aber nicht: Anwohner trotten lieber in die zuweilen einstürzenden Flachbauten von Aldi, Netto oder Rewe. Die warten tatsächlich alle nur ein paar hundert Schritte weiter am Alten Schlachthof, ein Kaufland wird auch noch gebaut.

Sicher machen sich in jedem Straßenzug nur jene Geschäfte breit, die der Bewohner dort aushält. Und das ist ein hartes Urteil über diese Gegend an der Grenze zwischen Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Lichtenberg.

“Thor Steina will hier keina”, Nazi-Graffiti auch nicht

Thor Steinar
Farbbomben, Plakate, und jetzt ein Info-Container: Von dem Klamottenladen Tromsö in der Petersburger Straße ist nicht mehr viel zu sehen. Die schwarzen Farbkleckse haben die Verkäufer des bei Rechtsextremen beliebten Thor Steinar-Labels noch übergepinselt und sich vor Demonstrationen eingeigelt.

Seit einigen Tagen machen jedoch Stellwände der Friedrichshainer Initiative gegen Rechts unübersehbar deutlich, worum es hier geht: Braune Mode hat in Berlin nichts verloren und ihre Freunde auch nicht. Falls die Räumungsklage gegen den Laden Bestand hat, könnte der Spuk Ende des Jahres vorbei sein.

Leider gibt es in der Stadt auch weniger auffällige Stellen, wo Rechte Spuren hinterlassen. Zum Beispiel einige hundert Meter weiter am alten Schlachthof an der Landsberger Allee. Dort prankt ein Graffito, das an einen Stahlhelm erinnert, daneben ein Hakenkreuz.

Nazi-Graffiti (?) am Alten Schlachthof in Prenzlauer Berg - Foto: Anne Onken

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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