Man könnte meinen, dass Rainer* Yoga macht. Der hagere Mittvierziger sitzt im Schneidersitz auf einem Friedrichshainer Dach und vollführt seltsame Verrenkungen. Mit einem Arm bewegt er eine Richtantenne hin und her, mit den Fingern der anderen Seite bearbeitet er das Notebook auf seinem Schoß. Das Gerät piepst ähnlich wie eine Sonde, mit der Münzsucher Strände absuchen. Je höher die Tonlage, desto besser der Empfang.
“Netstumbler hat 16 Netze gefunden”, sagt er und deutet triumphierend auf den Bildschirm. Drei davon weist das Programm als offen aus – eine Verbindung ist also erlaubt. Die anderen sind passwortgeschützt und tragen Namen wie Susanne, Captain Kirk oder Fritzbox.
Die Berliner Luft ist voll von privaten Funknetzen, die in Wohngemeinschaften oder Single-Haushalten für mehr Bewegungsfreiheit mit dem Internet sorgen. Obwohl sich die Reichweite mit jeder Generation neuer Wlan-Geräte verbessert und die Verbindungen von immer mehr Nachbarn genutzt werden könnten, bleiben die meisten Netze nur wenigen Personen vorbehalten.
“Es könnte gigantisch sein, wenn Berliner endlich ihre Netze öffnen”, schwärmt Rainer. Abschottung ist etwas, das er genauso wenig versteht wie Ausgrenzung und die Ausdehnung von Zonen mit privaten Sicherheitsdiensten. “Die meisten zahlen einen Flatrate-Tarif, befunken mit ihren Wlan-Stationen die Nachbarschaft bis zur anderen Straßenseite und fragen dann doch nur einmal am Tag ihre E-Mails ab”.
Die Hauptstadt als ein Tümpel voller Wasserlilien
In der “Lily-Pods”-Theorie des Medienwissenschaftlers Nicholas Negroponte hüpfen Frösche zwischen den Blättern von Wasserlilien auf einem Tümpel hin und her. Wenn der Tümpel für Berlin steht, die Wasserlilien für Funknetze und die Frösche für Einwohner, dann wäre in Berlin ein nahezu flächendeckender Netzzugang in der Innenstadt im Bereich des Möglichen.
Die nach eigenen Angaben weltgrößte WiFi-Community Fon setzt hier an und bietet ihren Nutzern kostenlosen Netzzugang – mit gewissen Einschränkungen. Wer seine Station nicht für andere freigibt, muss zahlen. Auch andere Firmen versuchen sich mit ähnlichen Geschäftsmodellen.
Für den Freifunk-Aktivisten Rainer sind diese Angebote ein fauler Kompromiss, da sich dort noch immer eine Firma zwischen Nutzer schaltet und Gewinne abschöpft. Ein wirklich freier Austausch von Daten ist für ihn am ehesten mit einem sogenannten Mesh-Netzwerk möglich. Wer das OLSR-Protokoll auf seinem mit wlan ausgestatteten Rechner installiert, macht ihn auch zu einem Knotenpunkt für andere Netzteilnehmer. OLSR sucht sich dynamisch die günstigsten Wege zwischen den “Lilien” im Großstadtdschungel.
“Und was passiert, wenn sich ein Unbekannter illegal Musik herunterlädt, die durch die Vernetzung auf meinem Rechner zwischengespeichert wurde?” Netzaktivisten erwarten oft, dass sich die Haftungsfragen in offenen Netzen von selbst regulieren.
Auch Stadtverwaltungen und Firmen tragen inzwischen dazu bei, das Internet als kostenloses Grundrauschen überall verfügbar zu machen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.
* Name geändert
Screenshot 1: Fon-Hotspots in Berlin
Screenshot 2: Freifunk-Hotspots in Berlin
Neue Kommentare