Bernadette T., Brice E. und Claire G. waren nur einige der Namen, die der Besitzer dieses Moleskine-Adressbuchs notiert hatte. Sorgfältig mit Bleistift, damit Adressänderungen schnell übernommen werden können. Daraus wird wohl nichts. Das Büchlein ist Pfutsch. Vergessen vor der Gedächtnis-Kirche in Charlottenburg.
Wem gehört es wohl? Warum hat sein Besitzer versäumt, die eigenen Kontaktdaten vorne im Buch anzugeben – für den Fall der Fälle? Ein französischer Tourist, der auf den Stufen vor der Kirche noch rasch ein paar Postkarten geschrieben hat? Schreiben Leute mit dem “legendären Moleskine-Adressbuch” überhaupt Ansichtskarten?
Außerdem hat der Besitzer des Büchleins ein Frauengesicht gezeichnet, vielleicht die Freundin aus der Erinnerung heraus. Über Berlin machte er sich einige kurze Notizen, Öffnungszeiten von Museen, einer Cocktail-Bar in Mitte.
Moleskine-Notizbücher sind in den letzten Jahren immer populärer geworden, jeder “künstlerische Mensch” oder der sich für einen solchen hält, besaß früher oder später eines dieser Bücher. Der Objektkult um das kleine Büchlein, das die italienische Firma Modo und Modo seit Ende der 90er Jahre in verschiedenen Varianten in China herstellen lässt, scheint schon etwas bizarr.
Nur weil Hemingway, Picasso und van Gogh sich für ihre Aufzeichnungen mit Notizbüchern dieses Formats eingedeckt haben – damals stellte sie noch ein französischer Papierhändler aus Tours her – wird Otto N. ja wohl kaum zum Künstler. Bestes Indiz dafür ist wohl die Diversifizierung des Produkts: Als Kalender, praktisches Adressbuch und so weiter. Auch Leute, die nie ein Notizbuch besessen haben, können teilhaben. Indem sie ein Adressbuch kaufen.
Aber zurück zu dem armen französischen Berlin-Touristen, der seine kostbaren Erinnerungen verlor: Er könnte versuchen, sich einer Gruppe der Online-Fotocommunity Flickr anzuschließen, in der Tausende Moleskine-Fans ihre verzierten Bücher ablichten. In dem angeschlossenen Forum machen sich sogar Menschen darüber Gedanken, was sie tun würden, wenn sie ein fremdes Moleskine fänden. Ein Fotograf namens Heartrush schlägt vor, etwas Persönliches hineinzuschreiben und das Buch dann wieder irgendwo rauf einer Parkbank abzulegen. Ich jedenfalls habe das Buch auf den Stufen der Kirche liegenlassen.
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