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Monatsarchiv für August 2007

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Verloren in Berlin

Foto: Beige AlertBernadette T., Brice E. und Claire G. waren nur einige der Namen, die der Besitzer dieses Moleskine-Adressbuchs notiert hatte. Sorgfältig mit Bleistift, damit Adressänderungen schnell übernommen werden können. Daraus wird wohl nichts. Das Büchlein ist Pfutsch. Vergessen vor der Gedächtnis-Kirche in Charlottenburg.

Wem gehört es wohl? Warum hat sein Besitzer versäumt, die eigenen Kontaktdaten vorne im Buch anzugeben – für den Fall der Fälle? Ein französischer Tourist, der auf den Stufen vor der Kirche noch rasch ein paar Postkarten geschrieben hat? Schreiben Leute mit dem “legendären Moleskine-Adressbuch” überhaupt Ansichtskarten?

Außerdem hat der Besitzer des Büchleins ein Frauengesicht gezeichnet, vielleicht die Freundin aus der Erinnerung heraus. Über Berlin machte er sich einige kurze Notizen, Öffnungszeiten von Museen, einer Cocktail-Bar in Mitte.

Moleskine-Notizbücher sind in den letzten Jahren immer populärer geworden, jeder “künstlerische Mensch” oder der sich für einen solchen hält, besaß früher oder später eines dieser Bücher. Der Objektkult um das kleine Büchlein, das die italienische Firma Modo und Modo seit Ende der 90er Jahre in verschiedenen Varianten in China herstellen lässt, scheint schon etwas bizarr.

Nur weil Hemingway, Picasso und van Gogh sich für ihre Aufzeichnungen mit Notizbüchern dieses Formats eingedeckt haben – damals stellte sie noch ein französischer Papierhändler aus Tours her – wird Otto N. ja wohl kaum zum Künstler. Bestes Indiz dafür ist wohl die Diversifizierung des Produkts: Als Kalender, praktisches Adressbuch und so weiter. Auch Leute, die nie ein Notizbuch besessen haben, können teilhaben. Indem sie ein Adressbuch kaufen.

Aber zurück zu dem armen französischen Berlin-Touristen, der seine kostbaren Erinnerungen verlor: Er könnte versuchen, sich einer Gruppe der Online-Fotocommunity Flickr anzuschließen, in der Tausende Moleskine-Fans ihre verzierten Bücher ablichten. In dem angeschlossenen Forum machen sich sogar Menschen darüber Gedanken, was sie tun würden, wenn sie ein fremdes Moleskine fänden. Ein Fotograf namens Heartrush schlägt vor, etwas Persönliches hineinzuschreiben und das Buch dann wieder irgendwo rauf einer Parkbank abzulegen. Ich jedenfalls habe das Buch auf den Stufen der Kirche liegenlassen.

Foto: Beige Alert

Workcamps in Berlin: Umsonst, aber nicht vergeblich

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Sie arbeiten in Suppenküchen, sanieren Gebäude, graben Gärten um: Freiwillige aus der ganzen Welt. Von Aktion Sühnezeichen bis hin zu den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (IJGD) – die Liste der Organisationen, die in Berlin internationale Freiwilligendienste veranstalten, ist lang. Auch der Service Civil International (SCI) hat in diesem Sommer wieder Workcamps organisiert. Ein Interview mit Merle Weißbach und Michael Götze von der Berliner Lokalgruppe des SCI, das ich per E-Mail geführt habe.

Was genau ist ein Workcamp?

Ein Workcamp ist ein zwei- bis vierwöchiges internationales “Arbeitslager”, in dem etwa zehn bis 15 Menschen aus aller Welt zusammen in einem gemeinnützigen Projekt aktiv sind. Ziel ist dabei einerseits, im interkulturellen Miteinander Gemeinschaft zu erleben und ein Stück weit zu einem besseren Verständnis zwischen den Menschen beizutragen. Andererseits zielen Workcamps aber auch auf die Unterstützung eines lokalen Projektes. Diese Projekte können im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich angesiedelt sein. Workcamp-Teilnehmer setzen sich in einem Study-Part inhaltlich mit dem Projektthema auseinander. Wir bemühen uns um umweltverträgliches, nachhaltiges Zusammenleben in den Camps.

Wer kann teilnehmen?

Der SCI-Deutschland hat Zweige und Partnerorganisationen in über 30 Ländern weltweit, in deren mehr als 1000 Camps wir Freiwillige vermitteln. SCI-Camps sind für jeden offen. Innerhalb Deutschlands liegt die Altersgrenze bei 16 Jahren, um ins Ausland vermittelt zu werden, muss man 18 sein. Nach oben ist die Grenze meist offen, es gibt aber auch spezielle “Mixed-Ages”-Camps. Kinder können in viele Camps mitgenommen werden.

Welche Projekte finden in diesem Jahr in Berlin statt?

In Berlin gab es diesem Jahr sieben Camps, von denen vier von der Berliner Lokalgruppe organisiert wurden: Mit der Organisation mob e.V. (Obdachlose machen mobil), bekannt durch die Straßenzeitung “Strassenfeger”, haben wir ein Camp in Prenzlauer Berg organisiert, in dem Teile der Obdachlosen-Notunterkunft renoviert wurden. Auf dem Gleisdreieck haben wir gemeinsam mit den “Interkulturellen Gärten” und zumeist bosnischen Frauen ein Camp auf die Beine gestellt. Es wurde ein Lehmofen überdacht, eine Kompost-Toilette gebaut und bewegliche Pflanzenkübel gezimmert. Studienteil waren hier interkulturelle Gemeinschaftsgärten in Berlin und anderswo. Ein anderes Camp fand in Wernsdorf außerhalb von Berlin statt, in einem ehemaligen Volkspolizei-Ferienlager. Dort wurden Fassade und Eingang renoviert, Holz gehackt und gestapelt. Unser viertes Camp läuft noch, und zwar im buddhistischen Zentrum “Bodhi Charya” in Friedrichshain, wo es neben Bauarbeiten einen Studienteil zu interreligiösen Dialog gibt.

Klingt nach harter Arbeit. Kommen die Leute wirklich zum Arbeiten – wollen viele nicht einfach billig Urlaub in Berlin machen?

Nein, das glaube ich nicht. Sicher kommen viele, weil sie sich auf eine erfüllte Zeit in einer internationalen Gruppe freuen. Für viele Teilnehmer ist es außerdem eine einmalige Chance, ein fremdes Land kennen zu lernen. Das Tolle am Workcamp ist, dass die verschiedenen Motivationen verbunden werden können – “Der beste Weg, Menschen kennen zu lernen, ist gemeinsame Arbeit” – helfende Arbeit im Projekt und Spaß dabei, interkultureller Austausch, Land und Menschen entdecken… Viel spannender, als ein Land nur durch Sightseeing und Strandliegen kennen zu lernen.

Profitieren die Kiezbewohner von den Projekten, werden sie einbezogen?

Ja, das ist eines unserer Ziele – der Austausch mit der lokalen Bevölkerung. So zum Beispiel in Prenzlauer Berg, wo die Workcamp-Teilnehmer im Jugendzentrum Atelier89 umsonst wohnen durften. Sie trafen so Jugendliche aus dem Bezirk – bei einem gemeinsamen internationalen Essen und gemeinsamen Abenden. Beim Projet “Interkulturelle Gärten” haben wir gemeinsam mit den Aktiven der AG Gleisdreieck und den Gärtnerinnen am Ende ein großes Gartenfest veranstaltet. Außerdem gab es auch in diesem Jahr eine Workcamp-Party mit mehr als 300 Besuchern, im RAW-Tempel in Friedrichshain.

Website:
Service Civil International e.V.
Lokalgruppe SCI Berlin

Schlachthof zwischen drei Bezirken

Raumschiff @ Schlachthof

Die Reste der Hammelauktionshalle am S-Bahnhof Storkower Straße haben schon etwas Außerirdisches, besonders nachts. Das Gelände des Alten Schlachthofes zwischen Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Lichtenberg erinnert an eine Zeit, in der man in Berlin noch ganz anders mit Fleisch umging, als heute.

Obwohl wir auch dieser Tage oft rätseln, wo und unter welchen Umständen die Tiere gelebt haben, die auf unserem Teller landen, war Fleischkonsum bis ins 19. Jahrhundert hinein noch unsicherer als heute. Damals lebten die Berliner eng mit ihren Tieren zusammen, die in Ställen auf Hinterhöfen gehalten und geschlachtet wurden.

“Schädigungen der Volksgesundheit”

Oft ging es dabei gefährlich unhygienisch zu. Wenn Metzger vergammeltes Fleisch mit Blut färbten oder altes Gehacktes mit Frischfleisch streckten, konnten sich Menschen massenhaft mit Milzbrand oder Tuberkulose infizieren. Allein die Fäkalien der Tiere konnten in den Wohnbezirken der aufstrebenden Metropole “zu schweren Schädigungen der Volksgesundheit führen”, wie der Mediziner und Hygieniker Rudolf Virchow (1821-1902) festhielt. (1)

Mensch und Tier gehörten also nicht mehr zusammen in der modernen Großstadt. Am Ende dieser Erkenntnis stand der Bau eines zentralen Vieh- und Schlachthofes für die fleischhungrige und rasant wachsende Berliner Bevölkerung. Die Rinderauktionshalle auf dem etwa 50 Hektar großen Gelände entstand 1881.

Zum langen Jammer

Im Zweiten Weltkrieg beschädigten Bomben das Schlachthofgelände, doch das endgültige Aus kam erst mit der Wende. In den 90er Jahren gab es mehrere Nutzungsansätze für die leerstehenden Gebäude, doch eine Großdisco oder Künstlerateliers konnten sich nicht halten. Heute wird das Gelände als “Zunftviertel” von Werkstätten, Gastronomie und Einzelhandel genutzt und weiter erschlossen.

An vergangene Zeiten erinnert zwischen Storkower und Eldenaer Straße neben der “spacigen” Bauruine im Blankensteinpark auch die Straße “Zum Langen Jammer”. So nannten Anwohner die reichlich verwahrloste Fußgängerbrücke, die aus hygienischen Gründen über das Schlachthofgelände zum S-Bahnhof führte.

(1) zitiert nach: “Das Ende vom langen Jammer”
Website: Zunftviertel Alter Schlachthof

Fahrradklau im Selbstversuch

Gestern wurde das Vertrauen in meine Mitbürger erschüttert. Ich war mit einer Bekannten verabredet, die im hippen, studentischen Teil Friedrichshains wohnt. “Ich will dir dein Fahrrad zurückgeben, ich gehe zurück nach Schweden”, hatte sie am Telefon angekündigt. Das Rad war in Topform, es sah besser aus, als ich es ihr überlassen hatte. Keine zehn Minuten nach der Übergabe passierte das Unglück. Vor einem Laden versenkte ich den Schlüssel des abgeschlossenen Rades in einem Luftschacht. Was tun? Ein fast neues, blaues, abgeschlossenes Herrenrad durch halb Berlin schleifen? Ein Rad, das garantiert nicht so aussah, als gehörte es einer Frau unter Einssiebzig?

Sie werden mich festsetzen, dachte ich. Mindestens drei Leute werden sich auf mich stürzen und nachfragen. Ich hatte keine andere Wahl. Es war bereits dunkel und einen Ersatzschlüssel hatte ich nicht dabei. Ich beruhigte mich: Betrachte es als Selbstversuch und teste die Reaktionen der Berliner auf eine vermeintliche Fahrraddiebin.

Die Befürchtung, dass man mir bereits in Friedrichshain Schwierigkeiten machen würde, erwies sich als unbegründet. Niemand interessierte sich für mich. Später in der U-Bahn in Kreuzberg wurden ein paar Kids auf mich aufmerksam, fanden das Rad aber wohl nur uncool. Am Bahnhof Schönleinstraße stiegen Kontrolleure ein. Für die Frau ohne Fahrschein neben mir ein Problem, nicht für mich. In Neukölln ist die Welt noch in Ordnung, dachte ich mir, da werde ich garantiert in eine Polizeistreife hineinlaufen. Nichts.

Erleichtert aber doch empört erreichte ich mein Ziel. Kein Hahn kräht danach, ob in dieser Stadt einfach Räder weggeschleppt werden? Andererseits: Hätte ich selbst nachgefragt oder die Polizei gerufen? Hätten Sie?

Kaugummiautomaten: Der ganze Kiez im Kasten

Kaugummiautomat

Kaugummiautomat

Wer einen Bezirk näher kennen lernen möchte, kann sich Stadtpläne anschauen, Menschen in der U-Bahn studieren oder wildfremde Leute ansprechen: Doch könnte es sein, dass schon einem kleinen Kasten mit Münzeinwurf fast alles wichtige über die Gegend bekannt ist, in der man ihn platziert hat?

Berliner mit ein bisschen Stadtkenntnis fällt es nicht schwer zu sagen, welcher der beiden Kaugummiautomaten in Marzahn hängt und welcher in Friedrichshain. Der Automat am Buckower Ring sieht eigentlich kaum anders aus, als die Häuser in der Siedlung: Hohe vergitterte Klötze mit kleinen Fenstern, Wohnschließfächer mit elf Etagen, von denen einige schon länger abgerissen werden sollen. Hat überhaupt jemand anders Interesse, näher an dieses sterile Gefängnis für Kaugummis heranzutreten, als ein seltsamer Blogger aus Friedrichshain?

In der Kreutziger Straße im Friedrichshain gibt es nicht nur Kaugummis – ein Schacht ist hier sogar mit Stinkbomben bestückt. Ein Sticker fordert den Erhalt von Wagenburgen, auf anderen machen Streetart-Künstler auf sich aufmerksam und ein gewisser Hajo will statt Merkel zum Kanzler gewählt werden.

Wie anders wirkt dagegen der Hintergrund: In Marzahn gibt es an vielen Stellen genug Grün, um sich der Trabantensiedlung für eine Weile zu entziehen.

Weitere Bilder von Kaugumiautomaten

Neue Kommentare

  • Thomas Feirer: echt coole Bilder …
  • Anonymous: achso hier meine email adresse zero88-denis@web.de
  • Anonymous: echt bei dir geht das noch? zu silvester wollen paar leute und ich schön gemütlich auf ein dach feiern ist...
  • Aileen: Ich hab mal ne frage: wo genau ist der Markt und hat der auch sonntags auf? lg
  • Ilse Fuehrhoff: Es gibt in Berlin tatsächlich noch sehr viele, eigentlich ungeahnt viele Hausfassaden oder auch...

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